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Tummelplatz für virtuose Senkrechtstarter

■ In der Reihe „Auf schwarzen und weißen Tasten“ gastieren ab heute junge PianistInnen in Bremen

„Klavierspiel besteht aus Vernunft, Herz und technischen Mitteln. Alles sollte gleichermaßen entwickelt sein. Ohne Vernunft sind Sie ein Fiasko, ohne Technik ein Amateur, ohne Herz eine Maschine.“ Dieses Zitat mag einerseits eine generelle Binsenweisheit musikalischer Interpretation sein, andererseits stammt es von einem der exzentrischsten und größten Pianisten dieses Jahrhunderts, von Vladimir Horowitz. Als einer der brillantesten Techniker seiner Zeit wollte er seine Mahnung wohl nicht allgemein, sondern sehr präzise verstanden wissen. Sie hat angesichts immer größerer technischer Anforderungen der großen Klavierwettbewerbe und angesichts immer jüngerer SiegerInnen erneute Aktualität.

Einmal im Jahr kann man sich bei Radio Bremen an fünf Beispielen systematisch mit der Frage des Verhältnisses von Technik und Interpretation beschäftigen: Im Zyklus „Auf schwarzen und auf weißen Tasten“ präsentiert Peter Schilbach – als ausgebildeter Pianist selbst ein verlässlicher Kenner der Szene – junge PianistInnen, die bereits an der Spitze stehen oder aber vermuten lassen, demnächst dazuzugehören. Ihrer aller Niveau verspricht pianistische und interpretatorische Abenteuer. Heute abend eröffnet Filippo Gamba die Reihe: Der knapp dreißigjährige Veronese ist in Bremen kein Unbekannter, hat er doch 1995 den Bremer Klavierwettbewerb gewonnen. Nachdem er in Italien mehrfach alle Klaviersonaten von Beethoven interpretiert hat, läßt er nun das Bremer Publikum an dieser Mammutleistung teilnehmen. Er interpretiert drei Beethoven-Sonaten und die Bagatellen op. 26.

Es folgt die gerade 19jährige Berlinerin Sophie Mautner. Sie bietet mit Werken von Chopin, Schumann und Franz Liszt ein Paradeprogramm, an dem man die Spannung zwischen Technik und Interpretation bestens erleben kann. Dies vielleicht noch mehr bei einem Pianisten, der von amerikanischen Kritikern durch seine stupende Technik als Erbe Rachmaninoffs bezeichnet wurde: Frederic Chiu spielt Mendelssohn, Chopin und Prokofjew.

Und wieder ein Achtzehnjähriger: Schon 1995 wurde der Turiner Senkrechtstarter Gianluca Cascoli bei Radio Bremen gefeiert. Man mag es bedauern, daß Musik des 20. Jahrhunderts bei diesen Pianisten kaum vorkommt, aber erst das klassisch-romantische Repertoire schafft die Grundlage für alle weiteren persönlichen Entwicklungen. Cascioli wagt immerhin die Konfrontation Beethoven (Sonaten op. 31,3 und op. 101) und Schönberg (Klavierstücke op. 23). Einen solchen Akzent setzt auch die „Seniorin“ der Reihe, Nina Tichman, die seit drei Jahren an der Musikhochschule in Köln eine Professur betreut. Die Amerikanerin interpretiert Etüden von Debussy, die A-Dur-Sonate von Schubert und die Piano Sonata von Eliott Carter.

Kein Zweifel, Peter Schilbach ist da eine aufregende Zusammenstellung gelungen.

Ute Schalz-Laurenze

27.12.96: Filippo Gamba, 3.1.97: Sophie Mautner, 8.1.97: Frederic Chiu, 10.1.97: Gianluca Cascioli, 15.1.97: Nina Tichman. Alle Konzerte um 19.30 Uhr im Sendesaal von Radio Bremen

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