Diese Zigarre ist keine Müllerzigarre, sondern eine...

...Geschonneckzigarre. Und wenn Erwin Geschonneck wie hier im Bild seine Geschonneckzigarre in einer Hotelhalle in Berlin-Mitte raucht, dann wird er von den Hotelangestellten ehrerbietig begrüßt, und die Hotelgäste schauen sich neugierig nach ihm um. Denn Erwin Geschonneck ist ein Star.

Ein DEFA-Star. Er war Jupp König in Konrad Wolfs „Sonnensucher“, Krämer in Frank Beyers „Nackt unter Wölfen“, Kalle in Bayers „Karbid und Sauerampfer“ und Kowalski in dessen Jurek- Becker-Verfilmung „Jakob, der Lügner“. Über 60 Rollen in 33 Jahren. Auch vor seiner DEFA-Zeit war Geschonneck kein Unbekannter gewesen, sondern, ganz im Gegenteil: ein Brecht-Schauspieler. Erst kurz vor Brechts Tod, 1955, hatte er das Berliner Ensemble verlassen, um 1993 in Heiner Müllers Inszenierung von „Duell Traktor Fatzer“ noch einmal zurückzukehren. Die politische Wende 1989 war für Erwin Geschonneck „erschütternd“, obwohl er in der DDR bloß ein „Fragment des Sozialismus“, einen „Sozialismus von oben“ verwirklicht sah. „Aber ich gehöre ja zu denjenigen, die geglaubt haben, man werde doch noch zur Besinnung kommen.“ Erwin Geschonneck ist Marxist. 1930 begann er seine Schauspielerkarriere in Laientheatern und Agitproptruppen. Hauptberuflich war er zunächst Arbeiter und Arbeitsloser in Berlin. 1933 mußte er emigrieren, ging über Polen und Lettland in die UdSSR, wurde 1938 ausgewiesen und in Prag von den Nazis verhaftet. Sechs Jahre verbrachte er in Konzentrationslagern. „Meine unruhigen Jahre“ heißen seine Memoiren, die er 1984 veröffentlichte. Eine nicht veränderte, aber ergänzte Ausgabe erschien 1993. Unsentimental beschreibt er seinen Leidensweg und Werdegang.

Nach dem Krieg erhielt Geschonneck bei Ida Ehre an den Hamburger Kammerspielen sein erstes Festengagement. Bald aber wechselte er nach Berlin zum Brecht- Theater, und seine Heimat wurde die DDR – als Reibungsfläche. Die positiven Helden, die er in den („verkommenen“) Filmen der DDR oft darstellen mußte, wollte er stets auch gebrochen zeigen. Wie auch Brecht Helden stets hinterfragt habe, was für Geschonneck dessen politische Wirksamkeit ausmachte. Geschonneck ist ein Geschichtsoptimist. An die Idee des Sozialismus als einzige Möglichkeit gesellschaftlichen Zusammenlebens glaubt er auch nach dem Zusammenbruch der DDR. Nicht als Utopist, sondern als Ökonom. Die Massenverelendung werde so weit fortschreiten, daß sich die Massen gegen die Großindustrie erheben werden. Daß sich derzeit die Schwachen gewalttätig gegen die noch Schwächeren wenden, sei eine Übergangserscheinung, eine Ideologisierung irgendwann unvermeidlich.

Heute wird Erwin Geschonneck 90 Jahre alt. Anders als West-Stars der gleichen Generation wie Bernhard Minetti oder Marianne Hoppe steht er nicht mehr auf der Bühne. Aber heute um 11 Uhr signiert er in der Berliner Universitätsbuchhandlung am Alex (Spandauer Straße 2) seine Memoiren, und abends gibt es im Fernsehturm einen Empfang, zu dem Geschonneck die einladenden Zeilen dichtete: „Herzlich willkommen! / Bei Schnaps und Bier! / Und auch Gesang / Das lob' ich mir.“ Petra Kohse/Foto: Thomas Seufert