Und er bewegt sich doch

■ Israel: Der Friedenspro- zeß kommt neu in Gang

Wie im Verkehrsstau lockert sich etwas. Man kommt ein paar Kilometer weiter – bis zum nächsten Stau. Zurück kann man nicht, seitwärts auch nicht, man kann nur warten und fluchen. Irgendwie kommt man ja doch vorwärts.

So geht es im nahöstlichen „Friedensprozeß“ zu. Unter massivem US- Druck haben sich die beiden Seiten – vor allem die israelische Regierung – bereit erklärt, das Abkommen über die Räumung eines Teils der Stadt Hebron fertigzustellen. Clinton wollte das als Weihnachtsgeschenk, jetzt will er es wenigstens zu Neujahr. Amerika hat die Macht, so etwas durchzusetzen. Washington muß nur wollen. Wer Hebron kennt, weiß, daß das Abkommen das Unmögliche möglich machen soll. Dieses Abkommen, das die 400 jüdischen Siedler – eine halbverrückte, religiöse Sekte, deren erklärtes Ziel es ist, die Araber zu vertreiben – mitten in der islamischen Stadt beläßt, ist wie ein Aspirinrezept für Krebs.

Wie seinerzeit, als die Likud-Regierung unter Begin die Siedlungen im Nordsinai räumen ließ, inszenieren die Siedler ihren ritualisierten Protest. Man tanzt auf den Dächern, rauft sich schmerzlos mit den Soldaten, veranstaltet für die Medien wüst aussehende theatralische Demonstrationen. Die rechten Koalitionsparteien stoßen blutrünstige Drohungen aus, aber keine denkt daran, ihren Platz an der Regierungskrippe aufzugeben. Und die Arbeitspartei wartet, mit heraushängender Zunge, nur darauf, in die Regierung eingeladen zu werden.

Also wird es vorwärtsgehen. Die Frage ist, wie weit es zum nächsten Stau ist. Dutzende von Problemen, jedes so groß wie Hebron, wenn nicht größer, warten auf der Bahn. Die Erweiterung der Siedlungen und Enteignung palästinensischen Bodens, die erbarmungslos und unbeachtet im ganzen Westjordanland weitergehen; die Freilassung der Häftlinge; die „Sperre“; die Blockade Ost-Jerusalems; der freie Durchzug zwischen Gaza und dem Westjordanland, der Rückzug aus weiteren Dörfern und Gebieten – das sind nur die dringendsten Verpflichtungen, die laut Oslo-Vertrag schon vor Monaten hätten erfüllt werden müssen. Von Jerusalem, Flüchtlingen, Siedlungen und Grenzen ganz zu schweigen.

Aber, frei nach Galilei, er bewegt sich doch. Uri Avnery, Tel Aviv

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