Kontinenteroberung

■ Im Januar startet der Kinderkanal von ARD und ZDF: Es herrschen Vorfreude, aber auch durchaus gemischte Gefühle

Die Voraussetzungen für den gemeinsamen Kinderkanal von ARD und ZDF scheinen perfekt: Das werbe- und gewaltfreie Wunschkind wird sich mit den Rosinen aus 30 Jahren Kinderfernsehen schmücken können. Trotzdem will sich nicht bei allen Beteiligten die richtige Begeisterung einstellen: Da ist zum einen der wenig geliebte Standort Erfurt. Zum zweiten mag ein Budget von 100 Millionen Mark auf den ersten Blick beeindrucken, doch eigentlich sind das mindestens 50 Millionen Mark zuwenig, denn der Etat muß ja auch die Verwaltungskosten decken. Und zum dritten weiß noch keiner, wie reibungslos ARD und ZDF zusammenarbeiten werden.

Dennoch überwiegt die Zuversicht. „Nachdem wir jahrelang mit dem Kinderfernsehen vertraut auf verschiedenen Inseln gelebt haben“, stellt „Maus“-Vater Gert K. Müntefering (heute Leiter der WDR-Tagesprogramme) fest, „ist der Kinderkanal ein Kontinent!“

Das Konzept sieht einen sogenannten Drittelmix vor. Das Programm wird aus hochwertigem Archivmaterial (Klassiker wie „Pan Tau“), bewährtem Gegenwartsprogramm (Kinderknüller wie „Käpt'n Blaubär Club“, ARD, und „Löwenzahn“, ZDF) sowie neuen Produktionen bestehen. Gerade im dritten Drittel liegt natürlich der Hund begraben. Zwar dürften die Lizenzpreise für eine Ausstrahlung im Kinderkanal wegen der niedrigeren Zuschauerzahlen deutlich unter jenen fürs Hauptprogramm liegen, doch Eigenproduktionen werden nicht billiger. Die Qualität eines öffentlich-rechtlichen Kinderkanals aber wird an seinen neuen Impulsen gemessen.

Das weiß auch Uwe Rosenbaum, Leiter der Abteilung Bildung und Familie beim Sender Freies Berlin (SFB). Ihn bewegt vor allem die Furcht, die ARD könne ihre Kompetenz für Kinder verlieren. Seine Hauptfrage an den Kinderkanal lautet daher: „Was stimuliert dieser Kanal an neuen Programmideen?“ Rosenbaum denkt in diesem Zusammenhang vor allem an Kinderfilme und den Dokumentarbereich. Münterfering bedauert vor allem, daß es bei ARD und ZDF (von den Privatsendern ganz zu schweigen) keine zeitgenössischen narrativen Formate für Kinder mehr gebe. Eine „Daily Soap“ für Kinder zum Beispiel wäre etwas, das dem „Kinderkanal“ zu einem unverwechselbaren Image verhelfen könnte. „Maus“, „Käpt'n Blaubär“, „Tigerente“ (ARD) oder Rabe Rudi aus „Siebenstein“ (ZDF) assoziieren die Kinder schließlich mit den jeweiligen Hauptprogrammen; und das soll auch so bleiben.

Allerdings scheiden sich in diesem Punkt die Geister. Während die ARD an Werktagen ohnehin kein Kinderprogramm mehr zeigt, wird man ums Kinderfernsehen im ZDF bangen müssen. Vorerst vertraut Susanne Müller, Leiterin der Redaktion Kinder 1 beim ZDF, ihrem Intendanten Dieter Stolte, der den Bestand des Kinderprogramms zugesichert hat. Zunächst kann er auch gar nicht anders: In der Anfangsphase werden die attraktivisten Sendungen von ARD und ZDF zeitgleich im Kinderkanal ausgestrahlt. Das Budget der Hauptprogramme, so Susanne Müller, sei daher „elementar wichtig für den Kinderkanal“. Doch, so Müntefering, „man wird kämpfen müssen“.

Kämpfen müssen wird der Kinderkanal auch um seine Reputation. Schon jetzt ist Kinderfernsehen ein ständiger Spagat: Entspricht man den Anforderungen der Pädagogen, verliert man die Kinder, denn die finden pädagogisch wertvolles Programm langweilig. „Wir werden uns“, so Müntefering, „für einige Programmformen subversiv mit den Kindern verbinden müssen.“

Ein Flop wird das Unternehmen Kinderkanal kaum werden, dazu sind die programmlichen und kreativen Ressourcen bei ARD und ZDF einfach zu umfangreich. Allerdings sind alle Beteiligten schon zu lange im Geschäft, um sich Träumen hinzugeben: Man will zunächst eine „wahrnehmbare Größe im deutschen Kinderangebot“ werden (Müller).

Entscheidender sind natürlich die Zahlen der direkten Konkurrenz. Das Augenmerk des öffentlich-rechtlichen Kinderkanals dürfte hier vor allem Nickelodeon gelten: Der Sender bewegt sich kontinuierlich auf vier Prozent zu. Ausschlaggebender Aspekt in diesem Wettbewerb könnte die arte- Frequenz in den Kabelnetzen sein, die Nickelodeon laut Vertrag Ende dieses Jahres an den ARD/ZDF-Kindersender abtreten muß. Darüber ist man in Düsseldorf etwas ungehalten. Bruce Tuchman, stellvertretender Geschäftsführer von Nickelodeon International, spricht von einem „Verbreitungsvorrang“ für öffentlich-rechtliche Spartensender und fürchtet, Nickelodeon könne in Zukunft ganz von den Kabelplätzen ausgeschlossen werden.

Bei Super RTL (gut zwei Prozent) sieht man der neuen Lage ungleich gelassener entgegen. Im Unterschied zum reinen Kinderkanal von ARD und ZDF fühle man sich, so Geschäftsführer Peter T. Heimes, „Kindern und Familien verpflichtet“, denn Super RTL erfreue sich „nicht nur bei den kleinen Zuschauern größter Beliebtheit“. Dies, so Heimes, sei Ansporn genug, „auch in Zukunft Spaß und Spannung in hoher Qualität zu liefern – unabhängig davon, wo das öffentlich-rechtliche Projekt hinsteuert“. Tilmann P. Gangloff