: Alle Sparten im Aufschwung
■ Die Mezzosopranistin Brigitte Fassbaender als Intendantin hat das Staatstheater Braunschweig gerettet
Brigitte Fassbaender glaubt an Realismus auf der Bühne, an ein Theater ohne Zusatzeffekte, und sie glaubt an die Romantik. So vertraut sie auch dem Märchenhaften in Stephen Sondheims „Das Lächeln einer Sommernacht“, der leichten Ironie dieses Musicals nach Ingmar Bergmanns gleichnamigen Film. Keine grotesken Überzeichnungen. Fassbaenders Inszenierung am Staatstheater Braunschweig behält einen leichtherzigen Ton und etwas Schwebendes, das nicht mit Kitsch zu verwechseln ist. Dafür haben die Figuren zuviel Charakter und eigensinnigen Charme.
Madame Arnfeldt etwa (Uta Nürnberg), sympathisch resolut mit einem Hauch Zarah Leander, ist zwar an den Rollstuhl gefesselt, aber mit trockenem Humor beseelt, wirft sie so schnell nichts mehr aus der Bahn: „Wenn man einen oder zwei Liebhaber verliert, das ist schlimm. Wenn man aber seine Zähne verliert: Das ist eine Katastrophe.“ Der besondere Reiz an diesem Musical liegt in dessen Glaube an schwärmerische Gefühle, an die absolute Liebe und die Magie der Natur, welche die menschlichen Empfindungen zu dirigieren vermag. Drei Paare sind in Bindungen verfangen, für die sie nicht bestimmt sind, darunter eine Gräfin, eine alternde Schauspielerin, ein Anwalt und ein junger Mann auf dem Weg ins Priesteramt. Im Laufe einer Sommernacht lächelt die Natur dreimal, wie die altersweise Madame Arnfeldt geheimnisvoll verkündet, und bringt die verirrten Gefühle in die richtige Bahn.
Mit schwungvollen Melodien greift Sondheims Musik den Boulevardton des Stücks auf, um sie mit impressionistischen Klangteppichen, melancholischen Melodiefetzen zu konterkarieren. Besonders in diesen Momenten der beinahen Stille, in denen sich die Atmosphäre dieser schicksalhaften Sommernacht in flirrenden, mit Percussiongeräuschen durchsetzten Streichersätzen ausdrückt, beweist sich der fein abgestimmte Klangkörper des Orchesters unter der Leitung des jungen Finnen Jari Hämäläinen.
Er dirigierte auch Brigitte Fassbaenders Inszenierung der Britten-Oper „A Midsummer Night's Dream“, die vor einem Jahr Premiere hatte und den Auftakt eines thematischen Zyklus zu Shakespeares und anderen Sommernächten darstellte. Ihren Humor und die Fähigkeit, Figuren stilsicher zu führen, bewies Fassbaender bereits in dieser Produktion, ihrer Einstandsinszenierung in Braunschweig als Regisseurin und musikalische Leiterin in einem zeitlich befristeten Sechserdirektorium.
Ihre neue Karriere als eine der ganz wenigen kontinuierlich arbeitenden Frauen in der Opernregie begann die Sängerin Brigitte Fassbaender als Nothelferin. Der glücklose Generalintendant des Braunschweiger Staatstheaters, Jürgen Flügge, hatte nicht nur das Opernensemble demontiert und mit einem modernistischen En- suite-Spielplan das Publikum vergrault – die Auslastungszahlen des gesamten 3-Sparten-Hauses waren besorgniserregend nach unten gerutscht. Brigitte Fassbaender, die im Covent Garden ebenso zu Hause war wie in Bayreuth, Wien oder der Scala di Milano, gab ihren Rücktritt von der aktiven Bühnenkarriere damals überraschend und ohne das übliche Brimborium bekannt und verzichtete auf die sonst übliche Abschiedstournee.
Schon länger hatte die international erfolgreiche, mit der Ehrendoktorwürde von Manchester und den Kammersängerinnentiteln von Wien und München ausgezeichnete Mezzosopranistin mit einem Wechsel zur Opernregie geliebäugelt und seit 1990 auch gelegentlich inszeniert. In Braunschweig sah sie ihre Chance gekommen, sich ganz dafür zu entscheiden; der Erfolg gibt ihr recht.
Die Auslastung stieg von 1994/95 zu 1995/96 um 11 auf 71 Prozent, und die Abonnenten finden in großer Zahl wieder Vertrauen in das Haus, das zu Zeiten der Romantik und der Klassik eine Metropole deutschen Theaters war. Das Große Haus pflegt ein klassisches Repertoire, im 1995 eingeweihten Kleinen Haus ist neue Dramatik zu sehen wie die Uraufführung von Matthias Dix' „Der Utopist“, Katja Lange-Müllers Drogenstück „Schneewittchen im Eisblock“ und „Die Zwerge am Berge“ von Jens Groß. Ausgewogenheit als Konzept, wobei der Elan der vorwiegend jungen Ensemblemitglieder vor allzu artigen Darbietungen bewahrt. „Othello“ etwa gibt es in einer heftig diskutierten, rotzig-neuzeitlichen Übersetzung von Werner Buhss; der „Dreigroschenoper“ hat Reiner Wiesemes eine neongrelle Ausstattung verpaßt, die Tatjana Reeses dem Comicstrip verpflichtete Regie ideal ergänzt.
Das Braunschweiger Staatstheater befindet sich in all seinen Sparten im Aufschwung. Gerade auch das Musiktheater hat sich, trotz der etatbedingt knappen personellen Ausstattung musikalisch und inszenatorisch (mit Regisseuren wie David Prins, Stephen Lawless und Marina Wandruszka), einen beachtlichen Standard erarbeitet und dem Opernbereich zu seinem alten Glanz und Ruf zurückverholfen.
Zum Ende dieser Spielzeit wird Brigitte Fassbaender Braunschweig dennoch verlassen. Ihr Auftrag, das betont sie, sei von Anfang an zeitlich begrenzt gewesen. Ab Herbst 1997 wird es dann wieder einen Generalintendanten geben, sein Name steht schon fest: Wolfgang Gropper. Ob sich der langsame Aufstieg des Staatstheaters auch ohne Fassbaender fortsetzen wird? Mit Debussys „Pelléas et Mélisande“ wird sie sich von Braunschweig verabschieden und danach eine Gastprofessur am Mozarteum in Salzburg übernehmen. Axel Schock
„Das Lächeln einer Sommernacht“. Musikalische Leitung: Jari Hämäläinen, Regie: Brigitte Fassbaender, Bühne: Bettina Munzer, Choreographie: Peter Bordung. Staatstheater Braunschweig. Nächste Vorstellungen am 28. und 31. Dezember, jeweils 19.30 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen