Angst vor einem neuen Bürgerkrieg

Zwischen den kambodschanischen Regierungschefs Ranariddh und Hun Sen tobt ein erbitterter Machtkampf. Beide buhlen mit allen Mitteln um die Gunst der Roten Khmer  ■ Aus Phnom Penh Jutta Lietsch

Kambodschas Zweiter Premierminister Hun Sen macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Als sein ehemaliger Außenminister, Norodom Sirivudh, ankündigte, er werde in diesen Tagen aus dem französischen Exil in seine Heimat zurückkehren, warnte der Regierungschef: Jedes Flugzeug mit dem Halbbruder des Königs an Bord „wird beschossen“. 45 Panzer und schwere Waffen stünden bereit, den Flughafen von Phnom Penh in ein „Schlachtfeld“ zu verwandeln.

Zwei Tage später war er wie verwandelt. Da erklärte Hun Sen auf einmal milde, er werde höchstpersönlich zum Flughafen gehen und dem Heimkehrer seinen Schutz anbieten. Allerdings müsse der König zuvor eine Amnestie für Sirivudh ausprechen, der vor einem Jahr wegen eines angeblichen Mordkomplotts gegen Hun Sen verhaftet und aus dem Land geschafft worden war.

Die neuen Töne Hun Sens kamen nach einer Krisensitzung der Regierungsparteien, bei der hohe Funktionäre beider Seiten es noch einmal schafften, ihren Premier zurückzuhalten, und ihm klarmachten, daß er nicht autokratisch über die Armee oder ihre Panzer verfügen könne.

Die Affäre zeigt, daß der Zweite Premierminister Hun Sen seinen Jähzorn immer weniger im Zaum halten kann. So wächst in Phnom Penh die Angst vor einer blutigen Konfrontation und einem Wiederaufleben des Bürgerkrieges. Denn die Drohungen gegen den ehemaligen Außenminister sind nur die jüngsten in einer Reihe von heftigen und unberechenbaren Ausbrüchen Hun Sens. Und sie richten sich gegen die Opposition ebenso wie gegen Mitglieder der eigenen Regierung.

Seit den Wahlen unter Aufsicht der Vereinten Nationen im Jahre 1993 teilt Hun Sen sich das Amt des Regierungschefs mit einem anderen Sproß des Königshauses, dem Prinzen und Ersten Premierminister Norodom Ranariddh. Es ist eine einzigartige Konstruktion: Die beiden größten Koalitionspartner — die exkommunistische Kambodschanische Volkspartei Hun Sens und die königstreue Funcinpec des Ersten Premierministers — halten alle hohen Regierungspositionen doppelt besetzt. Jede Entscheidung muß von beiden Partnern unterzeichnet werden.

Doch Premier Nr. 1 und Premier Nr. 2 sind so verfeindet, daß sie seit Wochen nicht mehr miteinander sprechen. Zwar sind die nächsten Wahlen erst für Mai 1998 vorgesehen, aber der Machtkampf tobt bereits jetzt.

Als Hun Sen nun drohte, Kanonen auf den Flughafen rollen zu lassen, da erinnerten sich die BewohnerInnen von Phnom Penh an jenen Tag im vergangenen Jahr, als Hun Sen den Exaußenminister festnahm: Damals waren 12 Panzer vor der Residenz des Prinzen aufgefahren.

Hun Sen präsentierte den Tonbandmitschnitt eines abgehörten Telefongesprächs, in dem Sirivudh davon sprach, den Regierungschef umzubringen. Der frühere Außenminister beteuerte seine Unschuld und durfte nach Intervention des Königs nach Paris ausreisen. Ein Gericht verurteilte ihn in Abwesenheit — in einem offenkundig manipulierten Verfahren — zu zehn Jahren Gefängnis.

Bis heute behauptet Hun Sen steif und fest, daß der ehemalige Außenminister Teil einer großen Verschwörung der Königsfamilie und ihrer Anhänger gegen ihn ist. Immer wieder hat er in den letzten Monaten politische Komplotte und Attentatspläne gegen sich und seine Familie „aufgedeckt“.

Verstärkt wird sein Mißtrauen noch durch die jüngste Annäherung zwischen der Funcinpec-Partei des Ersten Premierministers und der — ofiziell immer noch nicht anerkannten — Khmer Nation Party (KNP) des bekanntesten Oppositionellen und ehemaligen Finanzministers Sam Rainsy. Die KNP behauptet, sie habe bereits über 180.000 Mitglieder.

Wie explosiv die Lage ist, zeigte sich auch an wiederholten Scharmützeln zwischen Hun-Sen-Anhängern und Royalisten in der Armee, zuletzt am vorletzten Sonntag in der zweitgrößten Stadt Kambodschas, Battambang. Der Machtkampf zwischen den beiden Regierungsparteien reicht inzwischen bis tief ins kambodschanische Militär hinein.

Ironischerweise hat sich dieser Machtkampf noch verstärkt, seitdem Hun Sen im Sommer triumphierend den Bruch der Roten Khmer bekanntgegeben hatte. Damals hatte der Zweite Premierminister geglaubt, die Schwächung der Guerillatruppe, die immer noch wichtige Teile des Landes besetzte, würde seine eigene Macht im Staate stärken.

Anstatt gemeinsam zu versuchen, die politischen Führer der Roten Khmer zu isolieren und ihnen jeglichen Einfluß zu entziehen, umwarben beide Regierungsparteien die Roten Khmer. Der krebskranke und zunehmend einflußlose König Sihanouk warnte vor wenigen Tagen vor dieser „beklagenswerten und gefährlichen Politik“.

Die Politiker kennen offenbar keinerlei Scheu. Hun Sen erklärte kürzlich, „99 Prozent“ der abtrünnigen Roten Khmer stünden auf der Seite seiner Kambodschanischen Volkspartei. Seinen Geschäftsfreunden vermittelte er zu selben Zeit lukrative Kontakte zu den frühreren Rote-Khmer-Kadern in den rohstoffreichen Grenzgebieten.

Gleichzeitig traf sich sein Ko- Regierungschef und Rivale Prinz Ranariddh mit ehemaligen Militärchefs der Roten Khmer — und erinnerte wohlgelaunt an die engen Beziehungen in der Vergangenheit: In den achtziger Jahren hatten die königlichen Truppen gemeinsam mit den Roten Khmer gekämpft — gegen die von Vietnam eingesetzte Regierung unter Hun Sen.

Der will nun alles daransetzen, eine Wiederbelebung der Bürgerkriegskoalition zwischen Funcinpec, Roten Khmer und kleineren Fraktionen aus jener Zeit zu verhindern — und droht daher immer häufiger mit Gewalt.

Unterdessen lassen die Roten Khmer unter Pol Pot, die mit ihrer schwindenden Guerillatruppe von vielleicht noch ein paar hundert oder tausend Mann im Norden Kambodschas sitzen, keine Gelegenheit aus, Hun Sens Angst vor einem Attentat weiter zu schüren. Erst kürzlich verkündete ihr Untergrundradio erst wieder, der Premierminister werde in nächster Zeit ermordet.