IM VOLLRAUSCH IN DIE CHEMIEHÖLLE VON LEUNA

■ Was in Neufünfland alles Furchtbares passieren kann. Eine Chronik des Jahres 2006

Nun ist es definitiv: Der Axel Springer Verlag stellt das Zentralorgan für Neufünfland, die Bild-Zeitung, zu Jahresbeginn ein. Damit verschwindet auch die letzte Tageszeitung zwischen Kap Arkona und Fichtelberg. Bild-Chefredakteur Lutz Bertram (ehemals DT 64, ORB- Frühstücksdirektor und PDS-Medienberater) begründet den Schritt „mit der zunehmenden Analphabetisierung der Ostdeutschen“. Bertram selbst will sich diesem Trend stellen - als neuer Leiter der Sendung „Hören statt Sehen“.

Bereits am 1. März hatte die Tageszeitung jungsche welt nach 54 Jahren ihr Erscheinen eingestellt. Grund war die Ausweisung des einzig verbliebenen Abonnenten Wiglaf Droste aus Neufünfland. Nur wenige Tage später, am 23. April, hatte es auch das Fröhliche Neue Deutschland nach 60 Jahren erwischt. Die beiden letzten Abonnentinnen, Margot Honecker- Biermann und Bärbel Bohley- Kohl, waren Anfang des Monats verstorben. Bild selbst hatte zuletzt noch ganze drei Abo-Bezieher: Stolpe, Manfred (er schaut nun wieder in den Spiegel); Krenz, Egon (er schaut nun wieder tiefer ins Glas) und Schnitzler, Karl- Eduard (er schaut halt wieder schwarz fern). Was uns bleibt? Ein letztes Mal zurückzuschauen auf das, was Bild und Neufünfland im Jahre 2006 bewegte.

Januar: Mit Inkrafttreten des neuen Rauschmittelgesetzes sind Sachsens Hanfbauern so richtig aufgeblüht. In der Gemeinde Rauschberg ist es bei der Gründung einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) zu wahrhaft abgedrehten Szenen gekommen. Kiffende Bauern und geifernde Bäuerinnen diskutierten, wie die LPG heißen soll: „Vollrausch“ oder „Grasland“? Die Frage wurde weiterdelegiert – an die CDU-Kreisleitung Görlitz.

Februar: Liebestöterin Jutta Resch-Treuwerth hat ein letztes Mal in der Zeitung jungsche welt aufgestöhnt. Der Plan der Aidspflichtschutzimpfung sei zu 99,986 Prozent erfüllt worden.

März: Auf der jährlichen Lehr- und Leistungsschau der Messe der Meister von Morgen in Leipzig waren erstmals Jungdickmänner von Nestlé mit der Produktinnovation „Schlagersüßtafel“ präsent. Das Besondere: eine rosarote Verpackung, extra für Ossis.

April: Nina Hagen ist heimgekehrt ins Ossiland. Allerdings: Sie hat den Farbfilm vergessen.

Mai: Mit Atemschutzmaske hat Bundesfinanzminister Jürgen Schneider auf dem Marktplatz zu Leuna die prominenten Neubürger der Stadt begrüßt: Margarete Schreinemarkers, Steffi Graf, Boris Becker und Michael Schumacher. Alle hatten Anfang des Monats ihren Wohnsitz in die einstige DDR-Chemie-Hölle verlegt. Die gebeutelte Region war zum Steuerparadies erklärt worden.

Juni: Zeissianer haben in Jena gerufen: „Wer zu Späth kommt, den bestraft das Leben“. Das Werk soll nun endgültig abgewickelt werden. Doch Lothar Späth hat schon wieder einen neuen Job: Beauftragter für Späthaussiedler.

Juli: RTL 71 hat die Neuverfilmung der DDR-Endlos-Saga „Rentner haben niemals Zeit“ in Auftrag gegeben. Die Rollen übernehmen Vollplatte Heiner Lauterbach und Marie-Luise Marjan, die soeben in der „Lindenstraße“ bei einem Wettfressen im Café Bayer an 17 Schillerlocken erstickt war.

August: In Berlin-Marzahn ist der letzte Mieter aus der Platte ausgezogen. Er hieß Harald Buttler, war offiziell PDS-Bezirksbügermeister und inoffizieller CDU- Mitarbeiter und als solcher beauftragt, das rote PDS-Nest Marzahn auszurotten. Am 1. August wird Buttler Chauffeur von Bundespräsident Helmut Kohl. Marzahn dagegen wird abgerissen – zugunsten eines Euro-Disney-Parks.

September: Vera Lengsfeld, geschiedene Hintze, ist wieder einmal übergetreten – diesmal von der PDS zu den Grauen Panthern.

Oktober: Bundesfamilienminister Harpe Kerkeling will den extremen Geburtenrückgang in Neufünfland stoppen. Seit Monaten legt er sich dafür mächtig ins Zeug (nicht ins Bett, das würde ja auch nichts nützen). Als Potenzmittel will er auf die Mach-mit-Bewegung der DDR zurückgreifen.

November: Schock für RTL 88: Die Übertragung des Grand Prix der Kanzlerkandidaten „Ein Lied für Berlin“ hatte nur eine Zuschauerin – namentlich: Rita Süssmuth. Die hatte sich erhofft, CDU- Kanzlerkandidatin Claudia Nolte würde vortragen: „Über den Wolken muß die Freiheit wohl grenzenlos sein“. Statt dessen zwitscherte Mauerblümchen Nolte: „Unsere LPG hat 100 Gänse und ein Gänselieschen, das ist meins. Jeden Morgen zieh'n sie auf die Wiese, hundert Gänse und die Liese.“ Tage später wurde Nolte Bundeskanzlerin.

Dezember: Gregor Gysi lädt Claudia Nolte in seine Sendung „Talk im Sturm“ auf RTL 93 ein. Jens Rübsam