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DAS ÖKOWIRTSCHAFTSWUNDER

Millionen Arbeitsplätze entstanden durch Arbeitszeitverkürzung und Ökomaßnahmen  ■ Von Franz Alt

Die Bundesregierung hatte sich erbärmlich blamiert. Bis zum Jahr 2000 sollte die Zahl der Arbeitslosen von vier Millionen im Jahr 1996 auf zwei Millionen halbiert werden. Doch als es zur Jahrtausendwende schließlich fünf Millionen Arbeitslose gab, kam es 2001 zu Unruhen und Neuwahlen. Die erste Bundeskanzlerin der Republik schafft es schließlich, das Ziel der alten Bundesregierung beinahe zu erreichen. Heute, im Jahr 2006, gibt es zwar immer noch zweieinhalb Millionen Arbeitslose, aber: der Trend ist endlich umgedreht. Ähnlich wie in den 90er Jahren in den USA entstehen auch in Deutschland Millionen neuer Arbeitsplätze. Was war geschehen?

Zum Ende des letzten Jahrhunderts war das ökonomische Tohuwabohu komplett. Die Ökonomen hatten schlicht das Rechnen verlernt. Montags war in der „Tagesschau“ zu hören, mehr Wirtschaftswachstum bedeute weniger Arbeitslosigkeit. Dienstags verkündete die alte Regierung, die Renten seien sicher. Mittwochs behauptete die Opposition das Gegenteil. Donnerstags sagt der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit: Das einzige, was zur Zeit wächst, ist die Zahl der Arbeitslosen. Freitags stiegen wieder einmal die Sozialabgaben. Samstags entdeckte der Finanzminister neue Milliardenlöcher. Und sonntags in der Talkshow warten sich alle einig, daß es keine Patentrezepte gäbe.

Inzwischen war in Deutschland die Arbeitslosenrate doppelt so hoch wie in den USA und dreimal so hoch wie in Japan. Patentrezepte kennt auch die Bundeskanzlerin nicht, aber zusammen mit Gewerkschaften, Arbeitgebern und alternativen Wirtschaftsökonomen schnürte sie gleich nach ihrer Wahl ein Paket, das klassische sozialpolitische Maßnahmen zum Erhalt der alten Arbeitsplätze und Anreize für viele neue Arbeitsplätze in Zukunftstechnologien enthielt.

Als erstes hatten die Gewerkschaften Abschied genommen von ihrer alten vulgärmarxisatischen Theorie, wonach bei immer weniger Arbeitszeit immer mehr verdient werden müßte. Danach waren die Unternehmer endlich bereit, ideologiefrei über das wichtige Thema Arbeitszeitverkürzung zu reden. Das alte VW-Modell – 20 Prozent weniger Arbeitszeit bei 10 Prozent weniger Lohn – wurde inzwischen fast überall eingeführt. Viele Firmen haben heute bereits die 25-Stunden-Woche als Regelarbeitszeit. Die Tarifpartner sind sich darin einig. daß in etwa zehn Jahren Halbtagsarbeit die normale Arbeitszeit sein wird. In der Gesellschaft werden inzwischen die großen Chancen erkannt, die in geregelter Halbtagsarbeit für die Emanzipation von Mann und Frau liegen und die endlich das Recht der Kinder auf Anwesenheit eines Elternteils berücksichtigen.

Durch Arbeitszeitverkürzung, mehr Teilzeitarbeit, Halbierung der Überstunden, Elternurlaub, Sabbatjahre nicht nur für Professoren und mehr Freizeit statt mehr Geld bei Schichtarbeit konnte der bisherige Abbau der Arbeitsplätze gestoppt und etwa eine Million neuer Arbeitsplätze geschaffen werden. Die neue Regierung leitete eine ökologische Steuerreform ein. Auf Energie- und Wasser-, auf Ressourcen- und Naturverbrauch kommen jetzt pro Jahr sieben Prozent mehr Steuern. Das hat schon in den ersten vier Jahren zu 250.000 neuen Arbeitsplätzen geführt. Denn in derselben Höhe, wie Energie- und Naturverbrauch besteuert werden, sinken jetzt die Lohnnebenkosten. Es ist – wie vorher schon in Dänemark, Österreich und Schweden – für Unternehmer jetzt rentabler geworden, Kilowattstunden zu entlassen anstatt Menschen. Kluge Unternehmer haben gelernt, daß sie mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben können. Ökologisches Wirtschaften lohnt sich.

Einige Beispiele:

– Die solare Energiewende ist eingeleitet. Wind und Wasser schicken keine Rechnung. Windenergie ist heute sogar die billigste Energiequelle überhaupt. Es hat sich herausgestellt, daß bei der Erzeugung von Strom aus Windrädern fünfmal mehr Arbeitsplätze entstehen als in den stillgelegten Atomkraftwerken verlorengehen. Insgesamt sind durch Energiesparen, Energieeffizienz und erneuerbare Energien weitere 250.000 neue Arbeitsplätze entstanden. Die neue Bundesregierung geht davon aus, daß in 30 bis 40 Jahren die gesamte Energie aus erneuerbaren Quellen gewonnen wird und diese Anlagen ein riesiger Exportschlager werden.

– Weitere 200.000 Menschen haben einen Arbeitsplatz durch den Start in die ökologische Verkehrswende gefunden. Die früheren Automobilkonzerne sind Mobilitätskonzerne geworden und produzieren jetzt neben Solarautos und Biosprit-Pkw auch Schienen, Gleise, Straßenbahnen, Niedrigflurbusse, Fahrräder, U-Bahnen und S-Bahnen.

– Wasserspartechniken und Wassereffizienzsysteme haben ebenfalls einen positiven Effekt auf Umwelt und Arbeitsmarkt ausgelöst. Die Deutschen verbrauchen jetzt nur noch halb soviel Wasser wie vor zehn Jahren. Das neue Wasserbewußtsein hat zu 100.000 neuen Arbeitsplätzen geführt. Die mittelständische Installationsbranche boomt. Durch gezielte Fortbildung sind Installateure zu Pionieren einer neuen Wasserethik geworden.

– Das Bauernsterben ist gestoppt. Heute arbeiten in Deutschland 15 Prozent der Landwirte nach der Vorschriften des biologischen Landbaus. Die ökologisch orientierte Landwirtschaft braucht keine Chemie, aber mehr Arbeitskräfte. Die Bundesregierung hat ihrer neuen Politik – Abbau der Überschußproduktion und finanzielle Anreize für ökologische Leistungen – folgende Berechnung zugrunde gelegt: Die alte Chemielandwirtschaft braucht zum Bewirtschaften von 100 Hektar Land zwei Arbeitskräfte, der ökologische Landbau fünf und die Demeter-Landwirtschaft 15 Arbeitskräfte. Die Bundeskanzlerin geht davon aus, daß der Ökolandbau eine solche Dynamik entwickelt, daß es in etwa 20 Jahren in Deutschland und der gesamten Europäischen Union nur noch Ökobauern gibt. Moderne Bauernhöfe haben damit drei Einkommensquellen: gesunde Lebensmittel, nachwachsende Rohstoffe zur Energiegewinnung und Feriengäste auf dem Ökohof. Langfristig werden hier Hunderttausende neuer Arbeitsplätze geschaffen.

– Im Jahr 2002 hat der Bundestag eine neue Wärmeschutzverordnung beschlossen. Das Gesetz sieht energiesparende Maßnahmen durch besseres Dämmen auch in Altbauten vor. Das alte Gesetz galt nur für Neubauten. Der neue Wärmeschutz für alle 16 Millionen Gebäude in Deutschland braucht etwas 200.000 neue Arbeitsplätze. Der Bau von Niedrigenergie- und Nullenergie-Häusern ist jetzt Standard geworden.

Die begonnene Ökologisierung der Wirtschaft hat die Zahl der Arbeitsplätze im Umweltschutz gegenüber 1996 verdoppelt. Schon damals waren eine Million Menschen in Ökobranchen beschäftigt. Jetzt, im Jahr 2006, sind es zwei Millionen. Diese Zahl kann sich in weiteren zehn Jahren nochmals verdoppeln und praktisch zur Vollbeschäftigung führen.

Ähnlich wie das Wirtschaftswunder nach 1950 haben die Deutschen nun ein ökologisches Wirtschaftswunder zu organisieren begonnen. Das hat den Wirtschaftsstandort Deutschland gestärkt, der Umwelt geholfen und viele neue Arbeitsplätze geschaffen. Dieses ökologische Wirtschaftswunder ist die humanste Vision für das 21. Jahrhundert.

Franz Alt ist Redakteur beim Südwestfunk

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