Kein Platz für Straßenkinder und Obdachlose

■ Seit Ceaușescus Sturz gab es noch nie so viele Erfrorene wie diesen Winter

Zweiundzwanzig Menschen erfroren während der Weihnachtsfeiertage auf den Straßen der rumänischen Hauptstadt Bukarest. Noch nie seit Ende 1989 gab es soviel Kältetote. Die große Tageszeitung Adevarul (Die Wahrheit) stellte dazu einen Vergleich an. In Bukarest betrugen die Temperaturen im Schnitt minus zehn Grad, in Moskau hätten sie doppelt so niedrig gelegen. In der russischen Hauptstadt aber seien nur fünf Menschen erfroren.

Soziale Institutionen wie Alten-, Kinder- und Obdachlosenheime sind in Rumänien weniger verbreitet als in westlichen Ländern. Halb Tradition stärkerer familiärer und verwandschaftlicher Bindungen, halb Hinterlassenschaft des Ceaușescu-Regimes. Der Diktator wollte noch zu Lebzeiten ein 30-Millionen-Volk, ein Zuwachs von sieben Millionen Menschen immerhin. Die Ressourcen aber flossen nicht in die Sozialfürsorge, sondern in den Abriß der Städte, den Bau von Ceaușescus Palast und gigantische Modernisierungsprojekte. Proportional zu diesem Wahn stieg die Zahl der hin und her manövrierten Menschenmassen, der Obdachlosen, der ausgesetzten Kinder. Die tiefe Wirtschaftskrise und die soziale Härte des Übergangs haben daran bis heute nichts geändert.

Zwei typische Beispiele: In Bukarest wurde im November zwischen Müllbergen ein ausgesetzter Säugling gefunden. Straßenhunde hatten Polizisten durch ihr Geheul auf ihn aufmerksam gemacht. Im siebenbürgischen Cluj mußte eine Familie aus ihrer Wohnung ausziehen, weil sie die Miete nicht mehr bezahlt hatte. Die Familie lebt seither in einigen Wäscheschränken vor ihrem ehemaligen Wohnblock.

Zumindest eine Vielzahl von ausländisch oder nicht staatlich finanzierten Kinderheimen gibt es seit dem Sturz des Diktators. Nicht genug. In diesem Jahr wurden insgesamt 1.000 Säuglinge ausgesetzt. Die Zahl der Kinder, die von zu Hause flüchten, weil sie mißhandelt werden, steigt ebenfalls an. Viele gehen nach Bukarest.

Die Heime sind überfüllt. Wo kaum Platz für Straßenkinder ist, da erst recht nicht für erwachsene Obdachlose. Rumäniens Ministerpräsident Victor Ciorbea hat am Sonntag zumindest versprochen, daß Bukarester Polizeipatrouillen angewiesen werden würden, Straßenkinder und Obdachlose nachts nicht aus der Metro zu vertreiben oder sie in Notunterkünfte zu bringen. Keno Verseck