■ Völlig unvorbereitet traf die extreme Kältewelle die osteuropäischen Staaten. Die Menschen leiden immer noch unter den defekten und völlig überalterten Energiesystemen. Wohnungen können - wenn überhaupt - nur teilweise beheizt werden.
: Eis

Völlig unvorbereitet traf die extreme Kältewelle die osteuropäischen Staaten. Die Menschen leiden immer noch unter den defekten und völlig überalterten Energiesystemen. Wohnungen können – wenn überhaupt – nur teilweise beheizt werden.

Eisige Kälte überzieht das Land

Liegt Rumänien in den Subtropen oder vielleicht sogar am Äquator? In dieser Vorstellung leben offenbar die meisten Angestellten rumänischer Behörden. Anders als mit ihren sträflichen Illusionen ist jedenfalls nicht zu erklären, daß der Winter über Rumänien jedes Jahr von neuem hereinbricht wie eine Naturkatastrophe.

Kaum fallen die Temperaturen nur einige Grad unter Null, kaum schneit es länger als einen halben Tag, werden die Wohnungen von Millionen Rumänen nicht mehr richtig geheizt, gibt es kein Warmwasser mehr. In den Gasleitungen ist der Druck so schwach, daß auf dem Herd nur noch ein schwaches Flämmchen brennt. Der Alltag wird zum frostigen Alptraum, zum Notstand, bis die Jahreszeit wechselt. Dabei ist einfach nur Winter.

Kleine Rückschau mit Schlagzeilen aus der rumänischen Presse: „Schwierigkeiten mit Heizöllieferungen“ hieß es im Winter 1990/91, „Gasdruck auch in diesem Jahr unter Normalwert“ ein Jahr später und im Winter 1992/93 „Draußen genauso kalt wie drinnen“.

Ähnlich lauten die Schlagzeilen dieses Jahr. Der Winter begann in ganz Rumänien schlagartig einen Tag vor Weihnachten. Überall im Land schneite es, mancherorten mehrere Tage. Die Temperaturen fielen auf Werte von bis zu minus 35 Grad. Besonders hart traf es die Regionen in Ost- und Südostrumänien, wo Schneestürme und Orkane das Land unter einer meterhohen Schneedecke begruben.

Um so schlimmer waren die Auswirkungen im Vergleich zu anderen Jahren. In zahlreichen Städten und Ortschaften des Landes fielen Heizung, Gas und Wasserversorgung völlig aus – die Einwohner verbringen die Feiertage seitdem frierend. Der öffentliche Nahverkehr und Überlandverkehr brach in ganzen Regionen zusammen wie etwa in der südrumänischen Baragan-Ebene. Mehrere Grenzübergänge ins südliche Bulgarien sind nur zu Fuß passierbar, diverse Überlandstraßen gesperrt; Dutzende Züge wurden aus dem Fahrplan gestrichen.

Wie jedes Jahr sind die Behörden auch diesmal nicht in der Lage, einen wenigstens halbwegs reibungslosen Alltag zu garantieren. Viele Menschen fühlen sich sieben Jahre nach dem Sturz des Diktators Ceaușescu immer noch an seine „goldene Epoche“ erinnert, in der die Menschen während der Wintermonate permanent froren und im Dunkeln lebten. Im Fernsehen nehmen die Berichte über die katastrophalen Auswirkungen des Winters die Hälfte der Nachrichtensendungen ein. Zeitungen listen seitenlang die spektakulärsten Vorfälle auf: In der Hauptstadt Bukarest erfroren während der Weihnachtsfeiertage 22 Menschen. Zwei große Neubauviertel in der Metropole haben nur noch eine periodische Stromversorgung, weil die Leitungen überlastet sind. Zahllose Unfälle auf Straßen, umgestürzte Bäume, unterbrochene Strom- und Telefonleitungen. Rettungsdienste, die kein Benzin mehr haben, Krankenhäuser, in denen es in die Zimmer hineinschneit, wo die Kranken nach Hause geschickt werden, weil ihnen eine Lungenentzündung droht.

Im Vergleich dazu erscheint die Situation in einigen Städten Siebenbürgens geradezu privilegiert, denn hier ist der Winter nicht ganz so extrem. In der siebenbürgischen Metropole Cluj (Klausenburg) etwa werden die Wohnungen über Nacht von 22.00 bis 8.00 Uhr geheizt, die Temperatur sinkt gegen Abend auf „höchstens“ 12 Grad. Es gibt immerhin kaltes Wasser. Und keine Stromausfälle.

An solchen Wintern wird sich mindestens während der nächsten Jahre nicht viel ändern. Rumänien steckt in einer tiefen Energie- und Infrastrukturkrise. Die Schwerindustriegiganten und Großkombinate aus der Zeit der kommunistischen Diktatur verbrauchen den größten Teil der Energieträger. Da sie unrentabel produzieren oder bankrott sind, können sie ihre Schulden beim staatlichen Energiemonopolisten Renel oder dem Gaslieferanten Romgas nicht bezahlen. Auch die städtischen und kommunalen Thermozentralen, die für beheizte Wohnungen und Warmwasser sorgen sollen, können ihre Verluste vielfach nicht bezahlen. Die Leitungsnetze sind so verwahrlost, daß ein Gutteil der Lieferungen auf dem Weg zum Verbraucher in der Erde versickert. In Bukarest sollen es bis zu 50 Prozent des Wassers sein. Renel oder Romgas können ihrerseits nur ein Teil der benötigten Energieimporte bezahlen.

Dazu kommt das zur Verschwendung geradezu herausfordernde Verbrauchersystem. Der Energiepreis ist lächerlich gering. Fernheizungen können nicht wohnungsweise, auch nicht blockweise, sondern nur für ganze Straßenzüge geregelt werden. Jeder private Konsument zahlt an seine Thermozentrale den gleichen Betrag, die Temperatur wird mit den Fenstern geregelt. Funktionieren Heizung und Warmwasser nicht, schalten die Verbraucher notgedrungen das Gas oder eine Elektroheizung ein, was wiederum hier zu unvorhergesehenen Überbelastungen führt.

Die Energiepreise müßten sofort angehoben, bankrotte Fabriken geschlossen, andere modernisiert werden – wie im übrigen auch das gesamte Heizungs-, Gas- und Wasserleitungsnetz. Die im November abgewählte Regierung hat angesichts dessen jahrelang untätig zugesehen und der neuen Regierung der ehemaligen demokratischen Opposition ein schweres Erbe hinterlassen. Ihre Finanzierungsmöglichkeiten für Modernisierungsmaßnahmen – die ohnehin Jahre dauern würden – sind beschränkt. Preiserhöhungen und Betriebsschließungen stehen im Widerspruch zum Versprechen, die soziale Situation zu verbessern.

Einen konkreten Plan für einen langfristigen Ausweg aus der Krise hat die neue Regierung nicht vorgelegt. Statt dessen Notstands- und Disziplinarmaßnahmen: Die Energielieferungen an die Industrie wurden drastisch reduziert, um die Versorgung der Bevölkerung zu verbessern. Noch bleibt der Effekt aus. So bleibt vielen Menschen im Land nur noch eine Hoffnung: die auf den Frühling. Keno Verseck, Cluj