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■ VorschlagZwei „misfits“ finden sich – „Madagascar Skin“ im Xenon-Kino

Die ersten langen Minuten von „Madagascar Skin“ sind eine beklemmende, wortlose Strecke. Ein Spießrutenlauf für Harry (John Hannah), ein junger Mann mit zartem Profil. Bestenfalls abweisende, meist jedoch angewiderte Blicke, die sein Gesicht und das weinrote Muttermal auf der linken Seite treffen. Eine Sache, die ihn zum loner in schwulen Clubs macht und im Darkroom höchstens zu einem geduldeten Zaungast – bis das Licht angeht.

Als endlich die ersten Worte gesprochen werden, sind es ausgerechnet Zitate aus „Moby Dick“, dem „häßlichen Albino“, die sich Harry – ein scheuer Zyniker zur literarischen Aufheiterung selber vorliest.

Chris Newbys Film bedient sich ausgiebig einer Kontrastmischung aus düster morbiden Natur- und Interieurarrangements einerseits, und einer klaren Tonregie andererseits. Über Längen laufen Außengeräusche, zu einer dramatischen Kulisse arrangiert. Setzt dann ein Dialog ein, schrickt man hoch wie im Halbschlaf. Gedreht an den Pembroke Cliffs in Süd-Wales, bietet die schroffe Küstenlandschaft dann auch das passende Ambiente für die ebenso spröde und wetterwendische weitere Handlung.

Dazu liefert Newby krasse Bildideen: Harry sitzt in seinem Auto, das, am Strand geparkt, über Nacht zu einer halbdunklen Höhle geworden ist. Tonnen von Algenbüscheln haben eine braun-grüne Koje daraus gemacht. Von dieser Grotte aus beobachtet er, was draußen so vor sich geht. Nach der Devise, wenn ich mir die Augen zu halte, kann mich auch keiner sehen. Und doch wird er unfreiwillig Zeuge eines Racheakts: Bei einsetzender Flut findet er einen bis zum Hals eingegrabenen Mann am Sandstrand, mit übel zugerichtetem Schädel.

Man verschanzt sich in einem leerstehenden Cottage, ernährt sich von stinkenden Dosensuppen und kommt sich auf unvorhergesehene Weise näher. Flint (Bernard Hill), das knapp gerettete Strandgut, entpuppt sich als schräger Possenreißer. Mit allerlei Kunststücken und Widerwärtigkeiten, wie dem Verspeisen von Glasscherben, Spinnen und Mäusen, und einigen ulkigen Tätowierungen gewinnt er die Zuneigung seines Retters, der sich skurrilerweise auch sofort in ihn verliebt.

Endlich, so suggeriert der Film, haben sich hier zwei misfits gefunden. Und als sei es ein Experiment (Harry ist ehemaliger Tierlaborant), darf das Publikum nun den kuriosen Kabalen der zwei Männer zusehen. Flint präpariert seine Bettkante mit Reißnägeln, Harry tappt herein. Harry „steht auf Kerle“ und tarnt seine Liebeserklärung als Brief an eine Kummerkastentante, Flint gähnt. Schließlich geht es doch zur Sache, und auch Flints Geständnis, er wäre gar kein Gerüstbauer, sondern nur ein kleiner Dieb, kann daran nichts ändern.

Immer wenn Harry nach dem Schräubchen hangelt, um der Petroleumlampe den Saft abzudrehen, dreht Flint sie wieder an. Um dieses Ding im Gesicht seines Liebhabers zu betrachten, „das aussieht wie die Landkarte von Madagaskar“, als wär's eine besondere erogene Zone. Gudrun Holz

Ab heute im Xenon, Kolonnenstraße 5, Schöneberg

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