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Paukenschlag und Engelszungen

■ Diesmal bleibt ihm nichts erspart: Dem Hamburger Komponisten Johannes Brahms droht nach 100 Jahren Seelenfrieden posthum ein äußerst bemühtes musikalisches Widmungs-Jahr

Hamburgs Politik ist sich seit dem Tod des Hamburger Komponisten Johannes Brahms vor hundert Jahren in Wien treu geblieben. Das wurde auf der Pressekonferenz der Hamburgischen Kulturstiftung aus Anlaß der Eröffnung des Hamburger Brahms-Jahrs am Donnerstag nach wenigen Worten deutlich. Den lebenden Brahms wollten sie 1862 zu dessen großer Enttäuschung als Generalmusikdirektor nicht haben. Ihm sei das Amt „erspart geblieben“, witzelte Brahmsjahr-Koordinator Professor Ernst Schönfelder. Für die 175 Hamburger Veranstaltungen zum Jubeljahr des toten Brahms machten sie ganze peinliche 120.000 Mark locker. Da mochte Herr Scharlau, für den NDR am Podiumstisch, nuscheln so viel er wollte – für eine Lautsprecheranlage im halligen Foyer der Musikhalle hatte der Etat offenbar nicht gereicht. Leider fehlte die Kultursenatorin wegen eines Schnupfens akkurat zur rechten Zeit.

Ohne private Sponsoren – da nähern wir uns rapide dem Neospätfeudalismus – läuft in der Kultur nichts mehr. Hamburgs Darbietungen zum Jubeljahr wären ergo noch handgestrickter geraten, als sie es ohnehin sind, wäre den Organisatoren nicht der glorreiche Gedanke eines „Brahms-Mahls“ gekommen, dessen Tische, wie man hörte, schlappe 15.000 Mark teuer und allesamt ausverkauft waren, und hätten sich Landesbank, Deutsche Grammophon und NDR neben etlichen anderen Geldgebern nicht erbarmt und ein paar Brotsamen vom Festmahlstisch geschnipst.

So kommen wir neben allen Hamburger Cameratas und Singakademien und Jugendorchestern und Symphonikern doch noch in den Genuß auch internationaler Spitzenklasse. Man weiß nicht, ob sie eh gekommen wären und nur den obligaten Brahms ins Programm gesetzt haben, es erscheinen immerhin: Wiener Philharmoniker (mit Simon Rattle, 25. April) und Wiener Sinfoniker (2. April), der Brahmsspezialist Gerhard Oppitz mit den Philharmonikern (6./7. April), Anne-Sophie Mutter mit dem London Symphony (12. April.), Trio Fontenay mit einigen Brahmsprogrammen (4./5. Mai), der männliche deutsche Violinstar Frank Peter Zimmermann mit dem NDR-Orchester (7./8. September) oder der kommende Hamburger GMD Ingo Metzmacher mit den Philharmonikern (9./10. November, mit Requiem im Michel am 19. November). Heißer Favorit: Deutsche Kammerphilharmonie und Freiburger Barockorchester mit Schubertliedern in der Orchesterbearbeitung von Brahms und Brahms' 4. Sinfonie (21. Mai.). Interessant auch die Langfassung eines Brahms-Films von Tony Palmer (ARD, 3. April, 23 Uhr) im Metropolis bereits am 13. Februar um 20 Uhr.

Ach ja, die DAG ist nun endlich auch einverstanden, und der ganze Karl-Muck-Platz wird demnächst Brahms-Platz heißen. Hoffentlich rückt der Bausenator die Gelder für neue Straßenschilder raus. Immerhin, so Professor Schönfelder, sei Brahms eine der beiden einzigen Künstlerpersönlichkeiten gewesen, die Hamburg je zu Ehrenbürgern ernannt habe. Die andere? Ida Ehre.

Stefan Siegert

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