Vor hundert Jahren: Zeichen im Nebel
■ Optische Signale im Straßenverkehr
Ganz Deutschland bibbert vor Kälte, und selbst die Insel Juist ist laut neuesten Radio-Bremen-Nachrichten „vom Festland abgeschnitten“. Aiweh, der Frost verlangsamt halt jede Bewegung und zwingt geradezu zu Einkehr und Besinnung. Für diese Stunden winterlicher Muße liefern wir das Gedankenfutter. taz-Mitarbeiterin Anja Robert hat sich ins Archiv begeben und ist fündig geworden. Herausgekommen ist eine neue Serie mit Nachrichten, Stilblüten und Miniaturen, mit denen sich die Bremerinnen und Bremer vor genau hundert Jahren beschäftigt haben.
Wie man auf den Eisenbahnen optische Signale hat, welche dem Locomotivführer anzeigen, ob die Einfahrt in den Bahnhof, das Passiren von Weichen gestattet ist oder nicht, wendet man in London zur Regulirung des Wagenverkehrs in den Straßen neuerdings versuchsweise ähnliche Signalvorrichtungen an. Bekanntlich ist der Fuhrwerksverkehr in London ein außerordentlich großer, da Stadt- oder Pferdebahnlinien, elektrische Bahnen und dergl. in der englischen Metropole durchaus nicht in dem Maße vorhanden sind, wie in den übrigen europäischen Großstädten: die zahlreichen, eng gebauten Straßen machen einen derartigen Bahnverkehr für ganze Stadtviertel unmöglich. Um nun an den Hauptkreuzungsplätzen den aus den einzelnen Straßen kommenden Fuhrwerken schon von weitem ein Haltezeichen zu geben und übermäßigen Stauungen vorzubeugen, sowie Feuerwehr und öffentlichen Aufzügen eine freie Gasse zu bahnen, ist an den kritischen Stellen ein hoher Mast aufgestellt worden, der durch eine elektrische Leitung mit einem den Stand des Policeman kennzeichnenden eisernen Pfosten verbunden ist. Drückt der Schutzmann auf einen Knopf, so wird oben an der Signalstange eine Tafel mit der Aufschrift „Stop“ sichtbar, und zwar kann diese Tafel vom Standorte des Schutzmannes so gedreht werden, daß sie in der Straße, welcher die Warnung gilt, bemerkt wird. Abends wird die Vorrichtung elektrisch beleuchtet. Die Einrichtung ist ebenso sinnreich wie praktisch; nur dürfte sie sich bei dem berüchtigten Londoner Nebel öfters als wenig brauchbar erweisen.
Bremer Nachrichten vom 1.1.1897
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen