: Das große Schnarchen
■ Mit „Der große Schlaf des J.B. Cool“ wagt der Bremer Autor Jürgen Alberts ein Chandler-Plagiat und überhebt sich dabei
Philip Marlowe, der coolste Privatdetektiv der Literaturgeschichte, klaut auf dem Domshof Fahrräder und schnüffelt in der schmutzigen Wäsche von Bremer Senatoren herum. Der Bremer Krimiautor Jürgen Albert hat keck Raymond Chandlers berühmtesten Roman „Der große Schlaf“ plagiiert. Auf dem Cover seines Buches schaut er frech Humphrey Bogart über die Schulter, und diesen Marlowe aus Howard Hawks Verfilmung läßt er sogar persönlich zusammen mit Chandler in „Der große Schlaf des J.B. Cool“ auftreten.
Soviel Frechheit ist schon mal sympathisch, und gerade die extreme Fallhöhe macht neugierig darauf, wie Alberts mit dem teuflisch gewitzten Stil Chandlers ringen wird. Aber schon vom ersten Satz an wird deutlich, daß Alberts sich hier aufs Peinlichste überhoben hat. Sein Versuch, den trockenen, zynischen Erzählton von Marlowe zu parodieren, wirkt so geschwätzig und bemüht, daß das Lesen schnell zur Qual wird. Alberts ist nicht witzig, sondern albern: „Das Schweigen hätte selbst Bergmann noch bei mir lernen können“, „Der Schuldenstand lag tiefer als Käpten Nemos Schiff“, „Meine basic instincts wurden erregt“ oder „Mir schien dieser Butler so virtuell wie reality“. Mit solchen Anspielungen, bei denen das bloße „name dropping“ schon unheimlich komisch wirken soll, ist das Buch ge-spickt. Alberts nennt eine der Romanfiguren extra Franz Schiller, nur um einige Dialoge mit Zitaten aus „Die Räuber“ oder „Wilhelm Tell“ vollzupacken. „Sie war so schön, daß ein Bischof für sie ein Kirchenfenster eintreten würde“ – dies ist als Gegenprobe nur eine von Chandlers witzigen Formulierungen. Aber bei Alberts gibt es statt Stil nur Stilblüten.
Daß in seinem Roman der Bremer Privatdetekiv J.B. Cool genau wie der Leser schnell den Überblick verliert, wer, wen und warum beklaut, belügt und umbringt, kann man Alberts dagegen kaum zum Vorwurf machen. Denn auch bei Chandler ging es drunter und drüber.
Es gibt eine berühmte Anekdote von den Dreharbeiten zu „The Big Sleep“, nach der Regisseur Howard Hawks beim Lesen des Drehbuchs entdeckte, daß zu einem Mord bis zum Schluß der Täter fehlte. Er rief Chandler an, und dieser mußte nach langem Nachdenken zugeben, daß er auch keine Lösung seines eigenen Falls wußte. So darf es sich auch Alberts leisten, bei der Geschichte um den Ex-Senator Lüders, dessen zwei dekadente Töchter, einen Ökometzger und Atommüll wirr drauflos zu fabulieren. Aber warum ist der Leser in Chandlers Los Angeles der 30er Jahre eher heimisch als im heutigen Bremen von Jürgen Alberts? Dieser läßt seinen Detektiv zwar ständig durch das Ostertorviertel und über den Domshof radeln, aber weil ihm einfach die sprachliche Finesse fehlt, gelingt es ihm nie, auch nur in Ansätzen Bremen so lebendig zu schildern, daß man es wiedererkennt. Vollends zum Ärgernis wird das Buch bei den Dialogen. Während in Chandlers verbalen Zweikämpfen jede Person durch einen genau passenden Tonfall lebendig wird, reden bei Alberts alle in einem pseudocoolen Stil.
Auch zu dem streng postmodern riechenden Kunstgriff, Chandler und Bogart selber auftreten zu lassen, ist Al-berts nichts Rechtes eingefallen. Die beiden tauchen mal kurz (sehr blaß und lieblos beschrieben) in J.B. Cools Büro auf und verwickeln ihn in ein mit literarischen Paradoxien vollgestopftes Gespräch mit dem Höhepunkt: „Haben Sie denn nicht den Film gesehen?“ „Welchen?“ „Den Film zu dem Buch.“ „Ich lese Filme nicht gerne.“
Normalerweise würde man den Stil eines Krimischreibers wie Jürgen Alberts nie an dem des Mannes messen, der zusammen mit Dashiell Hammett das Genre zur hohen Literatur weiterentwickelt hat. Aber Alberts erzwingt diesen Vergleich hier selbst. Doch wenn man schon von einem der besten Kollegen klaut, muß es zumindest gekonnt sein. Wilfried Hippen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen