Kaum Hilfe für Mobbingopfer im Osten

■ Schikanen am Arbeitsplatz: In den ostdeutschen Bundesländern gibt es keine Sorgentelefone und Beratungsstellen für notleidende Beschäftigte. Einzige Ausnahme: Berlin. Kampf um Jobs wird härter

Angesichts von Entlassungen und Konkursen wird der Kampf um die knappen Arbeitsplätze härter. Immer mehr Berufstätige werden zur Zielscheibe von Hohn, Spott und Schikanen ihrer Kollegen. Zum Sündenbock gestempelt und in eine Außenseiterrolle gedrängt, leiden Betroffene häufig jahrelang. Sie setzen sich nicht zur Wehr – aus Angst, ihren Job zu verlieren. Die Folgen sind unter anderem psychosomatische Beschwerden, Depressionen, Nervenzusammenbrüche, Hörstürze und Selbstmordgedanken.

Etwa 1,4 Millionen Menschen sind bundesweit vom sogenannten Mobbing betroffen, schätzen die Allgemeinen Ortskrankenkassen. In der Niederlassung der Deutschen Angestellten Gewerkschaft in Erfurt gingen allein in diesem Jahr rund 1.000 Beschwerden von Arbeitnehmern ein, die sich schikaniert fühlten.

So machten Vorgesetzte und Kollegen einer 57jährigen Abteilungsleiterin, die in einem Ostberliner Betrieb beschäftigt war, zwei Jahre lang das Leben zur Hölle. Ihr neuer Chef ordnete zunächst die Entfernung ihres Computers an. Danach wurde ihr das Arbeitszimmer entzogen, später der Schreibtisch. Zum Schluß mußte die Frau, nach 20 Jahren im Betrieb, zu Hause arbeiten. Daß man sie aus dem Unternehmen wegekeln wollte, erkannte sie erst spät. „Ich habe gedacht: So ist die Marktwirtschaft“, meint die Berlinerin.

Während in den alten Ländern inzwischen nahezu in jeder größeren Stadt spezielle Sorgentelefone für Mobbingopfer eingerichtet wurden, gibt es dieses Angebot in den neuen Ländern bislang nicht. Einzige Ausnahme ist ein Mobbingtelefon in Ostberlin, eingerichtet von der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) und der Ärztekammer.

Dabei sei gerade im Osten der Beratungsbedarf höher als im Westen, meint die Pädagogin Kati Jauhiainen, die das Sorgentelefon betreut. Rund 1.500 Beratungsgespräche führte sie in diesem Jahr. „Unser Ziel ist es, die Leute möglichst wieder in die Arbeit zu integrieren“, erläutert sie.

Zwei Versuche des Erfurter Gesundheitsamtes, die erste Selbsthilfegruppe Thüringens zu gründen, scheiterten. Nach großem Andrang zu Beginn, kamen immer weniger Betroffene zu dem wöchentlichen Treffen, berichtet eine Sprecherin der Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen (KISS). Dabei sei die Nachfrage durchaus vorhanden. „Die Bereitschaft, darüber zu sprechen, ist aber bei vielen noch nicht da.“

„Gerade im Osten hat sich das Arbeitsklima in den vergangenen Jahren verschärft“, sagt Jürgen Schenk vom DAG-Landesverband Sachsen-Anhalt/Thüringen. Gründe sieht er in der allgemeinen Umbruchsituation. „Mobbingopfer schweigen aus Angst um ihren Arbeitsplatz.“ Außerdem seien viele schlecht über ihre Rechte informiert und wüßten nicht, daß sie sich mit solchen Problemen an den Betriebsrat wenden können.

Schikaniert wird nach seinen Erfahrungen nicht nur am Fließband, sondern auch in den Chefetagen, keine Branche ist davon ausgenommen. Am häufigsten gemobbt werde in Bürojobs und in der Gesundheitsbranche.

Schenk prangert auch das Fehlverhalten mancher Vorgesetzten an, die ihre Fürsorgepflicht gegenüber Mitarbeitern vernachlässigten. „Soziale Führungstechniken sind im Osten eher wenig entwickelt. An erster Stelle stehen die schwarzen Zahlen“, meint er. Der direkte Zusammenhang von Arbeitsklima und Gewinn werde von vielen Chefs nicht erkannt. Denn gemobbte Arbeitnehmer sind häufiger krank und haben deutlich höhere Fehlzeiten. Diese Ausfälle kosten die deutsche Wirtschaft nach DAG-Schätzungen bis zu 30 Milliarden Mark jährlich. Sylvia Lieberich, dpa