In sechs Monaten übernimmt die Volksrepublik China die Souveränität über die britische Kronkolonie Hongkong. Bei den Vorbereitungen für die autonome Sonderverwaltungsregion hat sich die chinesische Regierung komplett durchgesetzt. Von Peking ausgewählte Politiker sichern Chinas Einfluß Von Sven Hansen

Gelbe Sterne stehen über Hongkong

Der Countdown geht in die heiße Phase. Während auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking eine große Anzeigentafel auf die Sekunde genau die noch verbleibende Zeit bis zur Übernahme Honkongs anzeigt, laufen in der Metropole an der Mündung des Perlflusses die Vorbereitungen für die Übergabe auf Hochtouren. In 179 Tagen wird der Union Jack eingeholt und die rote Fahne mit den fünf gelben Sternen aufgezogen. Für 50 Jahre soll die künftige Sonderverwaltungsregion Hongkong dann nach der Formel „ein Land, zwei Systeme“ weitgehende Autonomie und Selbstverwaltung genießen. Das kapitalistische Wirtschaftssystem bleibt den 6,3 Millionen Einwohnern Hongkongs ebenfalls garantiert.

Bereits in den letzten Wochen hat sich die chinesische Regierung mit ihrer Hongkong-Politik für die Zeit nach dem 1. Juli auf der ganzen Linie durchgesetzt. Zunächst wurde am 11. Dezember der von Peking favorisierte Großreeder Tung Che-hwa von einem prochinesischen Gremium zum künftigen Regierungschef „gewählt“. Am 21. Dezember schließlich „wählte“ das gleiche von Peking handverlesene Gremium den neuen Provisorischen Legislativrat. Dem „Übergangsparlament“, das am 1. Juli den bisherigen überwiegend freigewählten Legislativrat ablöst, gehören keine Vertreter der Demokratiebewegung an. Sie hatten sich bei den Wahlen im September 1995 deutlich gegen die Statthalter Pekings durchsetzen können.

Ursprünglich hatten die britische und die chinesische Regierung vereinbart, daß der jetzige Legislativrat über die Übergabe hinaus eine volle vierjährige Legislaturperiode im Amt bleiben sollte. Als der britische Gouverneur Chris Patten aber gegen den Widerstand Pekings das Wahlverfahren demokratisierte, fühlte sich die chinesische Regierung nicht mehr an die Vereinbarungen gebunden und erfand den Provisorischen Legislativrat. Dieses von Peking wesentlich leichter zu kontrollierende Gremium verstößt nach Meinung Hongkonger Demokraten gegen sämtliche Vereinbarungen und ist nicht einmal in der künftigen Verfassung vorgesehen. Die Einberufung des Gremiums fand deshalb auch außerhalb Hongkongs in der benachbarten chinesischen Stadt Shenzhen statt. Bis zum 1. Juli werden die Vorbereitungstreffen des Provisorischen Legislativrats wegen des Widerstands der Kolonialregierung voraussichtlich in China stattfinden müssen.

Pikanterweise gehören 33 konservative oder prochinesische Politiker des bisherigen 60köpfigen Legislativrats dem künftigen Gremium an, in dem weitere prochinesische Politiker und Verlierer der letzten Wahlen sitzen. Hongkongs Politik wird in Zukunft von Geschäftsleuten dominiert, die sich vom direkten Zugang zum chinesischen Markt größere Gewinne versprechen.

Zur Zeit stellt der designierte Regierungschef Tung sein künftiges Kabinett zusammen. Dabei gelang dem 59jährigen am vergangenen Wochenende ein großer Coup. Anson Chan, die bisherige Stellvertreterin des britischen Gouverneurs und die mit Abstand beliebteste Politikerin Hongkongs, erklärte sich bereit, auch unter Tung stellvertretende Regierungschefin zu bleiben.

Die 56jährige Chan hatte monatelang die Meinungsumfragen angeführt, als es um die Frage ging, wen sich die zu 98 Prozent chinesischstämmige Bevölkerung zum Nachfolger des britischen Gouverneurs Chris Patten wünscht. Hätte es die von der Demokratiebewegung geforderten freien Wahlen gegeben, hätte Chan sie mit hoher Wahrscheinlichkeit gewonnen. Jetzt fällt der Glanz Chans auf Tung zurück. Als rechte Hand des Gouverneurs galt Chan bisher als probritisch und kam deshalb für Peking als Regierungschefin nicht in Betracht. Dabei gilt Chan, die sich politisch nur selten exponiert hat, vor allem als Politikerin, die die Verwaltung im Griff hat und jetzt für Kontinuität bürgt.

Pech hatte Tung dagegen bei dem Versuch, auch Michael Leung zum Weitermachen zu bewegen. Leung ist Chef der Unabhängigen Kommission gegen Verbrechen und gab Tung einen Korb, angeblich aus persönlichen Gründen. Die von Leung geleitete Kommission hat wesentlich zur geringen Korruption in Hongkong beigetragen und daß in der Stadt ein hohes Maß an Rechtssicherheit herrscht.

Während Hongkongs konservative Kreise vor allem auf Stabilität Wert legen und bereit sind, dafür demokratische Errungenschaften unterzuordnen, befürchten die demokratischen Kräfte vor allem Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit. Immer wieder appellieren sie an die Weltöffentlichkeit, zum Teil recht hilflos, sich für die Menschenrechte in Hongkong einzusetzen.

Unverständnis hat jetzt die Entscheidung der Kolonialbehörden ausgelöst, zwei in den USA lebenden Aktivisten der chinesischen Demokratiebewegung ein Einreisevisum zu verweigern. Der 30jährigen Chai Ling und dem 65jährigen Yuan Ming waren am 23. Dezember ohne Angabe von Gründen die Papiere verweigert worden. Ein Regierungssprecher sagte nur, man habe die Interessen der Stadt zu berücksichtigen.

Chai war eine der StudentenführerInnen der Demokratiebewegung 1989. Die Demokratische Partei will den Vorfall jetzt im Legislativrat ansprechen und verlangt von der Regierung Aufklärung über eine schwarze Liste, über die in den Medien berichtet worden ist. Ist der jetzige Vorfall wahrscheinlich ein Fall von vorauseilendem Gehorsam, kann für die Zeit nach dem 1. Juli ausgeschlossen werden, daß sich der Provisorische Legislativrat mit den unbequemen Fragen der Demokratischen Partei beschäftigen muß. Sven Hansen