„Die Weser wird ärmlicher, glatter und blanker“

■ Mittelweser-Ausbau killt just aufkeimende Hoffnung auf Wiederansiedlung von Insekten und Fischen / Gewässerökologe Michael Schirmer im Interview

Die Mittelweser soll für 131 Millionen Mark so ausgebaut werden, daß das Großmotorgüterschiff (110 m lang, 11,40 m breit, 2,50 m Tiefgang) passieren kann. Wie Ökologen über diesen Eingriff denken, sagte der Bremer Gewässerökologe Michael Schirmer der taz.

Es heißt, der Mittelweserausbau diene der Entlastung der Straßen. Der Kohlendioxidausstoß wird verringert, indem der Güterverkehr auf den Fluß geholt wird. Müßte der Ökologe sich darüber nicht freuen?

Michael Schirmer: Früher haben wir das getan. Aber in einer Gesellschaft, wo das private Kosten-Nutzen-Rechnen das oberste Maß aller Dinge ist, geht die Sache aus den Fugen. Indem der Transport auf dem Wasser durch immer größere Schiffe bewältigt werden soll, wird der Transport zwar billiger. Aber was ökonomisch ist, ist ja nicht automatisch ökologisch gut. Im Gegenteil, die Schiffe werden immer größer. Dafür soll die Weser ausgebaut werden.

Warum sind Sie dagegen?

Nachdem die einst frei fließende Weser in sieben Stauseen verwandelt wurde, wird immer weiter auf sie eingetreten und -gebaggert. Es scheint kein Limit zu geben. Das Gesetz zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), das wir begrüßt haben, weil es bis zur Kosten-Nutzen-Analyse genaueste Planung erzwingt, eröffnet neue Schlupflöcher. Es erlaubt beispielsweise, Eingriffe in die Natur sogar an anderer Stelle auszugleichen – oder im Extremfall, sich mit Geld freizukaufen. Wir sind in Bremen wie anderswo kurz davor, daß auch katastrophale Eingriffe wegen des sogenannten volkswirtschaftlichen Nutzens gerechtfertigt werden.

Warum macht Ihnen der weitere Ausbau der Mittelweser eigentlich Sorgen – wo sich doch sogar die Wasserqualität verbessert hat?

Das „Bessergehen“ ist ja teuer erkauft worden, dadurch daß in Thüringen und umzu Tausende von Leuten arbeitslos wurden. Das gibt der gesunkenen Salz-Belastung einen sehr bitteren Nachgeschmack. Und daß es der Weser besser geht, gilt aufgrund des Nordseeschutz-Abkommens. Die Weser selber wurde nie so ernst genommen, daß jemand auch nur eine halbe Milliarde aus der Tasche gezogen hätte. Trotzdem tauchen die ersten lange vermissten Tiere wieder auf; Insektenlarven oder Fischarten wie die Barben beispielsweise. Doch in diese Hoffnung platzt der geplante Ausbau. Dabei haben die Bundesländer gerade erst den ökologischen Gesamtplan für die Weser verabschiedet. Darin steht allerdings auch: Die weitere Mittelweseranpassung ist kontraproduktiv und wird abgelehnt.

Der geplante Ausbau wird unter anderem die Begradigung der Flußstrecke bringen. Ist das so schlimm?

Uns sagen natürlich viele, wir sollen uns nicht so aufregen, nach der Devise, was habt Ihr denn, die zwei Meter, die wir im Kurvenradius zurücknehmen, merkt doch niemand. Das ist manchmal auch so. Wer nie einen natürlichen Fluß gesehen hat, kann kaum ermessen, in welch ein Korsett die Weser gepreßt wurde, das ja den Geschiebehaushalt, die Sedimentation und Erosion stark beeinflußt. Und wenn der Staat nicht mehrere Milliarden locker macht, um Flächen zu kaufen, dann wird das enge Korsett aus Besitztümern aufrecht erhalten.

Vermutlich wird ein Ergebnis des Weserausbaus sein, daß es an konzentrierten Stellen sehr schön aussehen wird. Schöner als je zuvor. Während es an anderen Stellen ärmlicher, glatter und blanker wird. Personen werden sich hemmungslos dafür stark machen, den Fluß zu verbrauchen um dafür an anderer Stelle eine dritte Schicht von Superökologie draufzupacken. Das ist die Aufteilung der Welt in Schutz- und Schmutzgebiete. Aber Ökosysteme reagieren zufallsbedingt. Ob nun die Graugans oder der Höckerschwan mehr kommt, läßt sich nicht planen.

Fürsprecher des Weserausbaus argumentieren, nur der Ausbau könnte die Weser voran bringen?

Nein. Damit kommt zwar endlich mal Geld in die Weser. Aber es soll doch niemand glauben, daß das Wasser- und Schiffahrtsamt irgend etwas gut macht, was es nicht gleichzeitig kaputtmacht. Das ist gesetzlich verpflichtet, nur das Zerstörte quasi zu ersetzen. Also: Welche Laichplätze, welche Lebensräume für Flohkrebse oder Jungfische vernichten wir? Das ist insbesondere in den Kurven das Problem, wo auf der Innenseite weniger Strömung ist und das Viehzeug gerne sitzt. Je flacher und langgestreckter die Kurve, umso mehr geht von dieser wertvollen Zone verloren. Das wird hinterher immer noch eine geschwungene Kurve sein. Wer sich Natur aus der Autobahnperspektive ansieht, der wird sagen, das sieht doch harmonisch aus.

Mal realistisch; Kurven werden begradigt – was müßte man dafür einfordern?

Erstens, wie vom Gesetzgeber beschlossen, die Schäden genau zu analysieren, so daß ein angemessener Ausgleich und Ersatz geschaffen werden kann. Ausgleich würde heißen, daß man das zurückgelegte Ufer mindestens so biologisch freundlich gestaltet, wie es war. Ersatz würde bedeuten, wenn ich das nicht kann, weil es zu eng ist oder so, daß ich an anderer Stelle irgend eine biologisch freundliche Struktur herstelle, die ungefähr eine ähnliche Funktion hat, wie die weggebaggerte Kurve vorher. Nur das wird das Wasser- und Schiffahrts-amt auch machen. Da müssen Flächen gekauft und Strukturen wiederhergestellt werden – insofern ist die Gesamtbilanz dieses Eingriffs und der dazugehörigen Ausgleiche Null. Man wird versuchen, Verschlechterung zu vermeiden. Das wird aber de facto der Fall sein, weil dazwischen begradigte Strecken sind.

Wo gibt es denn, ganz pragmatisch gefragt, in Bremen Gebiete, wo man Ausgleichsmaßnahmen ansiedeln könnte?

Oberhalb vom Weserwehr bis hin nach Achim, das ja noch als bremisches Gebiet zählt. Für die Hemelinger Marsch würde sich natürlich anbieten, statt den fünften Industriepark anzusiedeln, den Deich zurückzubauen. Das kommt ja möglicherweise mit dem Industriepark wieder ins Gespräch. Wenn die Hemelinger Marsch nicht weiter verteidigt werden kann, dann könnte ein Vorschlag dahin gehen, zumindest dort über die Eingriffs-Ausgleichs-Regelung etwas für die Flußlandschaft zu tun.

Die Hemelinger Marsch liegt den BremerInnen ja auch wegen der Naherholung am Herzen. Gibt es da Vorschläge, von denen auch die Menschen profitieren, die bislang immer binnendeichs radeln und so den Fluß kaum zu sehen kriegen?

Wenn die Landwirte die Anlage eines Weges dulden, könnte das dort ein sehr schönes Erholungsgebiet werden. In der Gegend haben wir allerdings sehr hochwertige Vordeichsflächen, die ja bekanntermaßen die rot-grüne-Koalition zu Fall gebracht haben. Damit müssen wir sehr besonnen umgehen. Es gibt Areale, die zur Naherholung nicht geeignet sind, wie es auch Vorranggebiete für Bundeswehr und Hafen gibt. Warum soll es nicht auch Vorranggebiete für bedrohte Vogelarten geben?

Aber ich stimme zu, daß die Landschaft dort einen wesentlichen Naherholungswert hat. Das könnte noch besser werden, wenn man eine Ausdeichung machte. Dann hätte man vielleicht auch die Chance, die Wiederbelebung einer Flußlandschaft zu sehen. Vielleicht könnten sich dort sogar wieder Auenwäldchen ansiedeln – obwohl es dafür keine Garantie gibt, weil der Wasserstand durch das Weserwehr einfach viel zu konstant gehalten wird. An der Unterweser im Tidebereich gäbe es natürlich eine Reihe von Gegenden, wo eine Renaturierung sehr wohl möglich wäre und was bringen würde. Hochwertig ist auch das Gebiet am Neustädter Hafenbecken, das sich als Vorratsgebiet für die Hafenerweiterung ganz toll regeneriert hat, wo jetzt die tollsten Schwanz- und Beutelmeisen leben. Eine ideale Ausgleichfläche – was leider Gottes wohl ziemlich utopisch bleibt. Dafür spräche allerdings auch die Überlegung, daß sie bei Sturmfluten als Überschwemmungsgebiet wichtig wäre.

Im Haus des Häfensenators wird jetzt die Verkehrslenkung über elektronische Systeme befürwortet. Dadurch könnten Schiffe durch schmale Stellen gelotst werden und der Ausbau der Kurven würde reduziert...

Ich gehe tatsächlich davon aus, daß es von dieser Seite Schützenhilfe geben wird, weil in Bremen in der UVP-Leitstelle einige sehr engagierte Mitarbeiter ihre Ideen einbringen, so daß es zu diesem Verkehrsleitsystem kommen wird. Wobei man zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt, da diese Leitsysteme doch in Bremen hergestellt werden.

Das klingt, als ob Ökologen vor allem von anderen Innovation und Umdenken fordern. Was bringen Sie denn an Innovation?

Die Ökologie als originär biologische Wissenschaft ist doch noch dabei, Zusammenhänge zu erforschen. Nicht ein einziger Ökologe könnte von sich behaupten, daß er einen Zusammenhang in der Natur so ausreichend durchschaut hätte, als daß er sagen könnte: Da ist die Natur fertig. Wir müssen zunächst nicht innovativ sein, sondern Grundlagen erforschen: Warum verändert sich etwas, wann und warum? Welche Zusammenhänge gibt es?

Diese ganze Versalzung der Weser und die anderen Sauereien waren doch Riesenexperimente, denen natürlich auch die Ökologen staunend zugucken, was da abgeht. Aber wir haben auch Erkenntnisse daraus gezogen, die den erbitterten Widerstand begründen. Allerdings stehen wir zur Zeit mit dem Rücken zur Wand, wenn wir für die Weser kämpfen. Aber wir werden im hinhaltenden Widerstand darauf bestehen, daß wenigstens die Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen hinreichend durchgeführt werden. Die Frage ist, mit welchen Tricks kann man was erreichen. Spätestens da ist die Ökologie verdammt innovativ.

Fragen: Eva Rhode