Obdachlose wollen nicht in Notunterkünfte

■ Angst vor Übergriffen und das lange Anstehen halten Berber von der Läusepension ab

Eisige Temperaturen und kein Dach über dem Kopf – die Suche nach einem warmen Aufenthaltsort ist für viele Obdachlose lebensnotwendig. Ein Wunder, daß es bisher keine Todesopfer gab. Doch trotz des harten Winters sind in den Notunterkünften noch immer Betten für Obdachlose frei.

Die 810 Schlafplätze im Rahmen der saisonbedingten Kältehilfe werden noch immer nicht voll genutzt. „Wir haben jeden Tag noch Plätze frei, wenn sich Leute bei uns melden“, sagt Jürgen Mark von der Caritas. Mangel an Information, Angst vor gewalttätigen Übergriffen und Diebstählen sowie Rivalitäten zwischen den Obdachlosen in den Gemeinschaftsunterkünften könnten Gründe für das nicht ausgeschöpfte Bettenpotential sein.

„Wir machen eine Rutsche“, sagt Jochen. Das heißt, so lange in den beheizten S-Bahn-Zügen zu schlafen, bis der Bundesgrenzschutz einen rauswerfe, erklärte der 36jährige. Wie Jochen meint auch Duke, daß man in den Notunterkünften beklaut werde, deshalb schlafen sie lieber in der beißenden Kälte. „Das ist mein Schlafzimmer“, meinte der 33jährige, der seit 1979 obdachlos ist, und zeigt auf zwei Jacken, einen Pullover und zwei T-Shirts. Jochen und Duke gehören zu den schätzungsweise bis zu 4.000 Obdachlosen der Hauptstadt, an die sich das Kälteprogramm richtet.

„Die Obdachlosen erzählen teilweise Horrorgeschichten von diesen Unterkünften“, erzählt Jenny de la Torre. Die Ärztin betreut täglich in einer Praxis im Hauptbahnhof bis zu 30 Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben. Die hygienischen Zustände seien katastrophal. Es werde geklaut. Zudem müsse man sich den ganzen Tag auf der Straße rumschlagen, um abends für einen Liegeplatz Schlange zu stehen. Und dann gehe man mitunter doch leer aus.

Die Kältewelle hinterläßt deutliche Spuren bei den Obdachlosen. Neben den „normalen“ Krankheiten wie Knochenbrüchen, Mangelerscheinungen oder Hautkrankheiten nehmen zur Zeit die wetterbedingten Erkrankungen bei den Obdachlosen zu. „Wir haben viel mehr Fälle von Bronchitis, Erkältungen und anderen Atemwegserkrankungen“, erzählt die Ärztin. Sie rechnet, wenn die Temperaturen nicht bald steigen, mit Erfrierungen. Schlimm ist der harte Winter auch für die jugendlichen Obdachlosen in der Stadt, die nicht in den normalen Notunterkünften unterkommen. Für sie werden besondere Programme wie zum Beispiel der Jugendnotdienst angeboten.

Wenn sie dort Hilfe suchten, würden nicht gleich das Jugendamt oder die Eltern informiert, sagt Barbara Westhoff von der Jugendsenatsverwaltung. Die Jugendlichen sind nach Angaben der Senatsverwaltung aufgrund von Mangelernährung, Drogenkonsum und Infektionskrankheiten besonders gefährdet. Mehr als 1.000 von ihnen sollen in der Stadt kein Dach über dem Kopf haben. Manche Schätzungen reichen sogar bis zu 3.000 jungen Leuten. Oliver Pietschmann, dpa