Koreanische Irritationen

Die Unwägbarkeiten der Zahlenmystik, Coffee-Shops, Dinner auf der Isomatte und ein Ausflug im Bambushain. Süd-Korea – ein modernens Land mit Referenz an Mickey Mouse  ■ Von Dorothee Wenner

Im „Pusan-Hotel“ in der gleichnamigen Hafenstadt gibt es weder eine vierte noch eine zwölfte und auch keine dreizehnte Etage. Die letztgenannte fehlt, weil das so von den Amerikanern übernommen wurde, erklärt der Portier, und die vierte, weil im koreanischen das Wort „vier“ identisch mit Tod sei. Warum die zwölfte fehlt, wisse er auch nicht, wahrscheinlich gefalle dem Besitzer diese Zahl einfach nicht. Mit Zahlenmystik muß auch das abrupte Ende der Badesaison am 31.8. zu tun haben: Am 1.9. geht wie auf Verabredung niemand, wirklich niemand mehr im Meer baden, der hochsommerliche, weiße Traumstrand wird höchstens noch zum Herumsitzen benutzt. Eine an mitteleuropäische Temperaturen gewöhnte Badefreundin vermutete hinter dem plötzlichen Wasserboykott zunächst eine schlimme Ökokatastrophe, weil sie, des Koreanischen nicht mächtig, die entsetzten Kommentare ihrer Strandnachbarn mißinterpretierte.

Pusan ist ungefähr so groß wie Berlin. Es gibt eine unglaubliche Menge von Apotheken, dafür keine alten Häuser und keine alten Menschen. Zumindest sieht man sie nicht auf der Straße. Mit ihren vielleicht 50 Jahren gehört die Besitzerin eines kleinen Coffee- Shops in der Nähe des Fischmarkts zu den Ältesten, die mir dort begegnen. Tiefe und sehr gemusterte englische Polstermöbel, Sofatischchen, ein Aquarium, ein kleiner Hausaltar am Eingang mit Desinfektionsspray und einer Marilyn- Puppe – so das gemütliche Interieur. Über der Bar hängt eine rosa Wolkengardine. Um von dort in den eigentlichen Gastraum zu gelangen, muß die Besitzerin sich jedesmal ganz tief bücken, um links oder rechts unter einem der beiden goldenen Gartentörchen hindurchzuschlüpfen. Der Sinn dieser üppigen Konstruktion ist schwer zu begreifen.

Coffee-Shops sprießen derzeit wie Champignons im Herbstwald in den riesigen Einkaufszonen hervor, zumeist in den jeweils ersten Etagen über japanischen Designer-Boutiquen. Dort verkehrt, wer einigermaßen gut verdient und nicht über 30 Jahre alt ist, tagsüber und am frühen Abend. Später dann zählen die sogenannten „Soju-Zelte“ zu den stark frequentierten Treffpunkten, für alle Altersgruppen. Soju-Zelte sind ambulante Garküchen, wo man Suppen, Pfannkuchen oder Fische essen kann, und dazu trinkt man entweder trüben Makkolli-Reiswein aus kleinen Näpfen oder eben Soju, die koreanische Wodka-Variante. Beim Trinken gilt es ein paar Regeln zu beachten: Das wichtigste ist, daß man sich Alkohol niemals selbst einschenkt. Der Sitznachbar oder Gastgeber drückt durch die Armstellung beim Einschenken aus, ob man sich als Respektsperson oder aber als Vertrauter fühlen darf. Für Frauen gilt es darüber hinaus als schicklich, wenn Ältere zugegen sind, sich beim Trinken von Alkohol mit dem Gesicht abzuwenden. In den Soju-Zelten geht es ansonsten nicht sonderlich formell zu. Im Gegenteil. Wer fertig gegessen hat, aber noch weiter trinken will, der wird nach einer Weile höflich gebeten, an die improvisierten, knapp 20 Zentimeter hohen Klapptische neben dem Wagen auszuweichen, um anderen Hungrigen Platz an den Kochtöpfen zu machen. Oder sehr offiziell wirkende Herren lassen sich zwanglos auf einer großen silbernen Isomatte nieder, die die Soju- Zelt-Besitzerin im Eingangsbereich einer Bank aufgeschlagen hat. Und auch zwei vorbeischlendernde, sehr elegante Paare zaubern aus den winzigen Damenhandtäschchen eine Isomatte hervor und breiten sie in einer freien Lücke im Parkhaus gegenüber aus. Eine ungewöhnliche, aber sehr hübsche Form urbaner Campingkultur. Vielleicht wäre es jedoch richtiger, von „Picknick-Kultur“ zu sprechen, denn das Mittagessen im Freien zählt auch an freundlichen Wochenenden zu den beliebtesten Freizeitvergnügen.

Sonntagsausflug nach Kyongju, dem Rothenburg ob der Tauber von Korea. Der Namsam-Berg, wie eigentlich die ganze Stadt, ist ein Freilichtmuseum, wegen der vielen Grashügel, deren ebenmäßige Form an gigantische Kamelhöcker erinnert. Es handelt sich dabei um Königsgräber aus der Shilla-Periode im 1. Jahrhundert, als Korea, zum ersten Male als Land vereint, eine Blütezeit erlebte. Diese Hügel sind hohl, und innen befinden sich Grabkammern mit archäologischen Schätzen. Heute scheinen sie vor allem als Hintergrund für Hochzeits- und Familienfotos zu dienen. Der Namsam-Berg vor den Toren Kyongjus ist ein Teil dieses Nationalheiligtums, weil dort einst viele buddhistische Eremiten lebten. Von unten sieht man diesem Berg kaum an, daß es oben voralpine Wanderwege gibt, deswegen wunderte ich mich zunächst über das zünftig schweizerische Outfit der Ausflügler: Karostrümpfe, Wanderschuhe, Kniebundhosen, Schweißstirnbänder, Rucksäcke. Beim Wandern, wie bei vielen anderen Tätigkeiten wie Autofahren und Telefonieren, tragen viele Koreaner weiße Baumwollhandschuhe. Möglicherweise gibt es da einen Zusammenhang mit dem unübersehbaren Kultstatus, den Mickey Mouse in Korea genießt. Große Familien, Teenagergrüppchen und Damenvereine laufen mit bewundernswerter Kondition und bester Laune durch die Bambus-, Kiefern- und Azaleenwälder. Gesungen wird aber nur dort, wo die über einen weitreichenden Verstärker abgespielte Endlosversion der Namsam-Legenden zu Softcomputererklärungen nicht zu hören sind. Alle Entgegenkommenden werden gegrüßt. Nach mehreren hundert Begegnungen kann ich endlich „hallo“ auf koreanisch sagen. Die Kommunikation in Korea ist ansonsten kompliziert, wenn man kein Koreanisch kann. Mit Englisch jedenfalls kommt man nicht sehr weit.

Nur die Namen der Koreaner sind leicht zu merken. Die meisten heißen Kim, Lee oder Park – allesamt Nachfahren der großen koreanischen Adelsgeschlechter. Die Häufigkeit der Nachnamen macht aber nicht nur Ausländern zu schaffen. In jeder Schulklasse gibt es etliche Schüler bzw. Schülerinnen mit demselben Familiennamen, ohne daß diese irgendwie verwandt wären. Trotzdem ist es verpönt, daß z.B. zwei Parks heiraten, was tun, wenn sie sich verlieben? Frau Lee Soon-rye meinte dazu kategorisch: „Also, meine Tochter braucht mit einem Lee gar nicht erst nach Hause kommen!“