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Kein Libero in Enschede

Hans Meyer liegt mit dem FC Twente in der niederländischen Liga auf Platz drei und widerlegt Klischees über deutschen Fußballtrainer  ■ Aus Enschede Falk Madeja

Der Mann, der im Januar 1996 als neuer Trainer des FC Twente Enschede vorgestellt wurde, hieß „Meyer“. Meyer? Journalisten kratzten sich am Kopf. Nie gehört. Jemand drückte ihnen einen Zettel mit biografischen Angaben in die Hand. Trainer bei FC Carl-Zeiss Jena, FC Rot-Weiß Erfurt und, wie man's nimmt, in Karl-Marx-Stadt oder Chemnitz. Zuletzt beim 1. FC Union Berlin rausgeworfen. Nur echte Fußballkenner erinnerten sich, daß Meyer mit Jena mal ins Europacupfinale der Pokalsieger vorgedrungen war und dort 1981 in Düsseldorf gegen Dynamo Tiflis 1:2 verloren hatte.

Der FC Twente, einer der Vereine, die an den drei Großen des niederländischen Fußballs – Ajax Amsterdam, PSV Eindhoven und Feyenoord Rotterdam – nur selten vorbeikommen, ist eine Art Jena. Meister wurde man zuletzt 1926, aber auch Twente hat es mal in ein Europapokalfinale geschafft; dort war 1975 im UEFA-Cup Gladbach zu stark. Kurzum – der FC Twente und Meyer schienen kompatibel zu sein. Twentes Ex-Manager Ton van Dalen hatte sich Hans Meyers Namen gemerkt, als der FC Twente noch zu DDR-Zeiten an einem Turnier in Erfurt teilnahm, wo Meyer Trainer war. Van Dalen: „Er war anders als andere Leute aus dem DDR-Fußball. Er war locker, hatte Humor und Fußballverstand.“ Van Dalen, der heute Spielervermittler ist und Decheiver nach Freiburg brachte, erzählt: „Twente hatte den Trainer entlassen und suchte einen neuen. Ich empfahl Meyer.“ Twentes Präsident Cees Anker, ein Kleinunternehmer mit Schnauzer, ließ sich überzeugen.

Meyer kannte den niederländischen Fußball gut. „Ich war dort in den 70ern auf einem Trainerlehrgang und bei Feyenoord.“ Damals ein Privileg – Jahrzehnte später Gold wert. „Natürlich weiß ich, was eine Viererkette ist“, mußte Meyer anfangs immer beteuern und, nein, einen Libero wolle er nicht einführen. Während die europäische Fußballwelt sich die EM in England ansah und viele Fußballer noch an den Stränden urlaubten, begann der FC Twente mit dem Training – Wochen vor der Konkurrenz. Das zahlte sich aus, und nun ist Meyer der Mann der Stunde. Der Verein steht auf Platz drei und mischt noch im Pokal mit. John Bosman, Ex-Nationalspieler und mit zehn Toren erfolgreichster Twente-Stürmer, lobt: „Meyer ist ein Toptrainer. Nach Twente verdient er einen Topclub.“

Das Klischee Dreiklang „Defensive, Manndeckung, Disziplin“ verlor sich schnell im Nichts. Zwar hat der FC Twente nach dem PSV die wenigsten Gegentore bekommen, dennoch ist Meyers Team nicht defensiv eingestellt. Überrascht stellte Meyer fest, daß im niederländischen Profifußball vieles (etwa das Scout-System) vorbildlich, anderes (wie die Sportmedizin) amateurhaft organisiert ist. Erst auf Meyers Initiative wurden Blutproben der Spieler genommen, um die Fitneß zu analysieren. Entsprechend modifizierte er das Training. Mit Erfolg: Seine Mannschaft ist fit wie kaum eine andere.

Meyer hat eine Reihe außergewöhnlicher Spieler. Mit Boschker (26) einen Klassetorwart, mit van Halst (27) einen cleveren Mittelfeldspieler, mit Bruggink (19) nach Kluivert (Ajax) das zweitgrößte Stürmertalent des Landes. Und John Bosman (31). Der schoß mal im Ajax-Trikot neben Marco van Basten Tore am Fließband. Aber zuletzt war er fast vergessen, und Journalisten riefen ihn meist an, weil sie ihn mit Fußballrebell Jean-Marc Bosman verwechselten. Als er im Sommer einen Verein suchte, griff der FC Twente zu.

Es kam auch an, wie Meyer mit einer heiklen Affäre umgegangen war. Eines kalten Aprilabends betrat er den Innenraum des Diekman-Stadions mit dem Mikrophon in der Hand. „Jungs, hört doch mal zu.“ Überrascht erstarb das Gemurmel im Stadion. Was war passiert? Einige „Jungs“ hatten beim Auswärtsspiel in Deventer ihrem deutschen Trainer eine zweifelhafte Freude machen wollen. Sie hatten „Hansi Meyer, unser Führer“ und auf dem Weg zum Bahnhof „Ein Volk, ein Trainer, ein Meyer“ intoniert. „Ich fand das schockierend, es tat mir persönlich weh“, teilte er den Zuschauern mit und fuhr fort, „diese Losungen haben die Opfer dieser barbarischen Zeit nicht verdient.“ Das Publikum im Diekman-Stadion schwieg zunächst verblüfft (Meyer: „Was heißt schwieg, es war mucksmäuschenstill“), dann applaudierte es – und nie wieder waren ähnliche Rufe zu hören.

Enschede hat seit ein paar Jahren ein gravierendes Problem. Wie gut die Mannschaft auch spielt – es kommen nie mehr als ein paar tausend Zuschauer. In anderen Provinzorten wie Heerenveen oder Breda ist es anders – da sind die Stadien meist ausverkauft, und die Stimmung ist wunderbar. „Wir müßten das mal von Soziologen untersuchen lassen“, merkte Hans Meyer enttäuscht an, als das Stadion nicht mal gegen Tabellenführer PSV Eindhoven ausverkauft war. Durchschnittlich kamen diese Saison 7.430 Leute ins altmodische und ungemütliche Diekman-Stadion; letztes Jahr waren es 6.900.

Wahrscheinlich ist Twentes Fußballtraum ohnehin nicht von langer Dauer. Das Debakel mit dem Fußballsender „Sport 7“ kostet den FC Twente viel Geld. Außerdem wird zu Jahresbeginn der Grundstein für ein neues Stadion gelegt. Dies wird zwar größtenteils mittels Subventionen und Sponsorengeldern finanziert, aber dennoch scheint es fast die gesamte Aufmerksamkeit der Vereinsführung aufzufressen.

Ironischerweise ist auch Meyers Erfolg für den FC Twente eine Bedrohung. Der 19jährige Arnold Bruggink, der in drei Jahren Ehrendivision 31 Tore erzielte, unterschrieb schon beim PSV, Mittelfeldspieler Paul Bosvelt (26) wird – wie Bruggink ablösefrei – zu Feyenoord gehen. Und Meyer? Neulich war er bei Borussia Mönchengladbach im Gespräch. Das war erstmals ein Bundesligaclub. Sicher nicht der letzte.

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