Deutsche Durchsuchung beschäftigt Niederlande

■ BKA und LKA durchsuchten holländische Wohnung eines angeblichen „radikal“-Redakteurs. Die Rechtsgrundlage ist unklar. Opposition will Auskunft

Hamburg (taz) – Der Ermittlungshunger der Fahnder kannte keine Grenze: Begleitet von Kollegen der niederländischen Polizei und einem holländischen Ermittlungsrichter stürmten Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) und des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamtes (LKA) in den Morgenstunden des 11. Dezember eine Wohnung im holländischen Grenzort Vaals. Nachdem sie die Tür der Wohngemeinschaft in der Sankt Paulus Straat 26 mit einem Nachschlüssel geöffnet hatten, durchsuchten die bundesdeutschen Ermittler einige Stunden jeden Winkel der Wohngemeinschaft, beschlagnahmten schließlich einen Computer und mehrere Disketten.

Wonach die Beamten eigentlich fahndeten, verschwiegen sie einer anwesenden Bewohnerin trotz mehrfacher Nachfrage – auch einen Durchsuchungsbeschluß hinterließen sie nicht. Erst die Mutter des während der Razzia nicht anwesenden Wohngemeinschaftsmitgliedes Miguel Diaz konnte am Abend für Aufklärung sorgen. Ihre Wohnung in Aachen war – nur wenige Stunden später – von Beamten des nordrhein-westfälischen LKA durchstöbert worden. Nur waren die Beamten diesmal auskunftsfreudiger gewesen. So erfuhr Diaz' Mutter, daß ihr Sohn von der Karlsruher Bundesanwaltschaft (BAW) verdächtigt wird, „Mitglied der kriminellen Vereinigung radikal zu sein. Er habe „an der Herstellung und Verbreitung“ der in Deutschland verbotenen linksradikalen Zeitschrift mitgewirkt.

Bereits seit Jahren versucht die BAW mit spektakulären Durchsuchungen und geheimdienstlichen Überwachungsmethoden den RedakteurInnen der radikal auf die Spur zu kommen. Sie wirft ihnen vor, durch die Veröffentlichung von Bekennerschreiben und die Anleitung zu Sabotage- und Sprengstoffaktionen „terroristische Vereinigungen“ zu unterstützen. Bei ihrer Stippvisite in Vaals dürften die Ermittler diesmal einen Schritt zu weit gegangen sein. Die Durchsuchung löste in den Niederlanden nicht nur ein breites Medienecho aus, sondern beschäftigt auch das Parlament des Königreiches. Abgeordnete der Grünen und der liberalen Partei VVD wollen durch mehrere parlamentarische Anfragen von ihrer Regierung haarklein erfahren, auf welcher Rechtsgrundlage die bundesdeutschen Fahnder in den Niederlanden tätig werden durften.

Der an der Amsterdamer Universität lehrende Strafrechtsprofessor C. F. Rüter bezweifelt, daß es eine solche Rechtsgrundlage gibt. Da die radikal in Holland nicht verboten, der Beschuldigte zudem Spanier sei, hätten weder deutsche noch niederländische Beamte Diaz den unangekündigten Besuch abstatten dürfen. Die Bundesanwaltschaft hingegen wäscht ihre Hände in Unschuld. BAW- Sprecherin Eva Schübel: „Wir haben ein Rechtshilfeersuchen an die Niederlande gestellt, dem entsprochen worden ist.“ Wie Diaz ins Visier der Fahnder geriet, darüber gibt die BAW keine Auskunft. Doch vor allem der holländische Wohnort des politisch aktiven, in Aachen studierenden Spaniers dürfte die Aufmerksamkeit der Ermittler erregt haben. Um der bundesdeutschen Verfolgung zu entkommen, haben die radikal- MacherInnen seit Jahren ein Teil ihrer Strukturen in die Niederlande verlegt. So befindet sich die Postadresse in Amsterdam, von der niederländischen Hauptstadt aus speist auch die „Solidariteitsgroup Politieke Gevangenen“ über den Provider „XS4ALL“ die radikal ins Internet ein. Auch hier versuchte die Bundesanwaltschaft vor einigen Wochen aktiv zu werden, indem sie die deutschen Provider-Vereinigungen ECO und ICTF unter Druck setzte, ihren Kunden den Zugang zu dem Amsterdamer Server zu sperren.

Der Coup geriet zur Blamage: Nachdem der Zensurversuch in der Computerszene bekanntgeworden war, kopierten Internetanbieter in allen Erdteilen die inkriminierten radikal-Ausgaben auf ihre Webseiten. Die BAW stellte daraufhin ihre Zensurversuche ein. Während BAW-Sprecherin Schübel bestätigte, daß gegen Diaz kein Haftbefehl vorliege, wird in diesem Jahr acht anderen Personen, die im Verdacht stehen, für die Herstellung der radikal verantwortlich zu sein, vor den Oberlandesgerichten in Koblenz und Düsseldorf der Prozeß gemacht. Bei den Angeklagten soll es sich um die TeilnehmerInnen eines angeblich „konspirativen Redaktionstreffens“ in der Eifel handeln, das im Rahmen eines Lauschangriffes im Herbst 1993 von der Polizei mitgeschnitten worden war. In den beiden Strafverfahren geht es auch darum, ob erstmals eine gesamte Zeitungsredaktion zur kriminellen Vereinigung gestempelt wird. Marco Carini