piwik no script img

Vom korrekten Zungenschlag

■ In der Bremer Carl-Schurz-Grundschule gibt es freiwilligen Polnischunterricht für Aussiedlerkinder

Torche heißt „ein wenig“. Doch der erste (deutsche) Blick täuscht: Denn auf Polnisch spricht man das Wort ganz anders aus – nämlich mit nasalem „e“. Dieses – und selbstverständlich auch das nasale „a“ – übt Kinga Hartmann allwöchentlich mit ihrer Klientel, rund 25 acht- bis zehnjährigen Schülern, montags nachmittags beim Polnischunterricht.

Daß dieser Unterricht in der Bremer Grundschule Carl-Schurz-Straße stattfindet, ist allerdings keine Selbstverständlichkeit: Die SchülerInnen sind Sprößlinge deutschstämmiger Aussiedler aus Polen, die anfangs nicht sonderlich darauf bedacht waren, ihren Kindern ausgerechnet die polnische Kultur nahezubringen. „Die Eltern wollten, daß sich ihre Kinder erst mal in Deutschland einlebten“, vermutet Werner Wilker, Referent für interkulturelle Angelegenheiten. „Sie sollten sich auf keinen Fall von ihren deutschen Mitschülern unterscheiden.“ Das sei wohl auch der Grund dafür, daß ein erster Versuch des Senats, 1991 Polnischunterricht für Aussiedlerkinder zu organisieren, auf keinerlei Echo stieß. Doch nach rund vier Jahren hatte sich im Bewußtsein der Eltern ein Wandel vollzogen: Gemeinsam mit der Bremer „Gesellschaft zur Förderung der polnischen Kultur“ forderten Eltern jetzt Unterricht für ihre Kinder – und inzwischen ist das Pilotprojekt „fast ein Selbstläufer“, berichtet Wilker. In mittlerweile fünf Bremer Schulen wird seit dem Schuljahr 1995/96 nachmittags für insgesamt 250 Kinder Polnischunterricht angeboten. Auch die „Lehrerfindung“ geriet nicht zum größeren Problem: „Viele von ihnen waren schon vorher im deutschen Schuldienst und hatten Deutsch für Aussiedler unterrichtet“, erklärt Wilker.

Das Bundesinnenministerium investierte 120.000 Mark in das bundesweite Pilotprojekt, und es hätte eigentlich losgehen können. Doch ein Hindernis gab es noch: Ein Lehrbuch mußte konzipiert werden, das den Kindern die polnische Kultur nahebrachte, ohne sie von ihrem deutschen Umfeld zu isolieren – kurz: Sprache und Inhalte mußten dem deutschen Schulunterricht angepaßt werden. „Wenn die Kinder im deutschen Sachunterricht über Flüsse sprechen, ist es sinnvoll, ihnen parallel das polnische Vokabular nahezubringen“, sagt Kinga Hartmann, die mit einer Kollegin das bundesweit erste Polnisch-Lehrbuch für die Klassen drei bis sechs verfaßt hat. „Natürlich dürfen die Inhalte weder langweilig noch abwegig sein, denn die Kinder kommen ja immerhin freiwillig zum Unterricht.“ Etwa die Hälfte von ihnen spricht zu hause ausschließlich Polnisch, und ob ihnen Polnisch oder Deutsch leichter fällt, mögen sie nicht so recht entscheiden: „Es ist beides gleich leicht und gleich schön“, sagt die zehnjährige Eva. Und Mateusz „muß manchmal mit meiner Oma Deutsch sprechen, weil sie das noch gelernt hat, aber lieber spreche ich Polnisch.“ In Polen geboren ist die Mehrheit der Kinder; als sie nach Deutschland kamen, waren die ältesten von ihnen zwei Jahre alt. „Wie hieß noch der Ort, wo ich geboren bin?“, sinniert ein Mädchen, während ihr Banknachbar berichtet, er stamme aus Szczecin. Deutsche und polnische Idiome gehen wild durcheinander in der Diskussion, so daß man sich fragen könnte, wo eigentlich der Sinn eines Polnischunterrichts für Kinder liegt, die diese Sprache sowieso täglich zu hause praktizieren. „Wir wollen die Sprachfähigkeit verfeinern“, sagt Kinga Hartmann. „Denn im Alltag wird oft nur ein Grundwortschatz benutzt.“

„Meine Tochter liest inzwischen Texte, die ich selbst schwierig finde“, bestätigt Elternsprecherin Joanna Stroiwas, die vor 15 Jahren aus Gdansk nach Bremen kam. So positiv habe sie das aber nicht immer gesehen: „Als wir hierherkamen, stand Polnischunterricht für unsere Kinder nicht zur Debatte. Wir hatten dieses Land eben hinter uns gelassen. Aber mit der Zeit“, sagt sie, „ändern sich die Gefühle. Ich habe bemerkt, daß ich gewisse Dinge nur auf Polnisch ausdrücken kann – und daß das Land trotz allem meine Heimat ist.“ Identität will sie ihren Kindern aber nicht vorschreiben: „Ich kann meiner Tochter nicht sagen, sie soll sich als Polin oder Deutsche fühlen. Das muß jeder selbst entscheiden.“ Davon abgesehen sieht sie die Sache ganz pragmatisch: „Polen ist schließlich das Nachbarland, und die Grenzen des Ostblocks öffnen sich. Da können slawische Sprachkenntnisse nur nützlich sein.“ Auch daß ihre Kinder irgendwann nach Polen gehen könnten, um dort zu arbeiten, ist für sie kein Tabu: „Man weiß nie, was kommt im Leben.“ P.S.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen