Teenie-Nöte vom Fließband

Reden, Rumspinnen und „Bravo“ lesen gehören zu den unverzichtbaren Grundtätigkeiten eines Storyliners. Irgendwer muß schließlich die Dialoge in den täglichen Soaps erfinden  ■ Von Inken Schröder

„Wenn unser Budget es erlaubt, wird Annalena eine normale Schwangerschaft haben und ein gesundes Kind zur Welt bringen. Andernfalls hat sie eine Eileiterschwangerschaft“ – so steht es im Sitzungsprotokoll des „Marienhof“-Autorenteams. In der ARD- Vorabend-Soap geht's pragmatisch zu: Das Thema Schwangerschaft erscheint den Storylinern, die sich täglich die neuesten Windungen der Soap-Geschichten ausdenken, interessant; vor allem vom Human Touch her. Die letztendliche Austragung des Kindes ist dann schon weniger zwingend und ein fertiger Säugling irgendwie schon wieder langweilig und außerdem viel zu teuer.

Während die ARD täglich zur Abendbrotzeit in den Krisenherd „Marienhof“ blendet, beobachtet man auf einem anderen Sender folgendes: In modernen Ikea-Küchen sitzen junge hübsche Menschen, Mädchen im H&M-Outfit und Jungs, denen man ansieht, daß sie ihre Freizeit nicht nur in der Serie in Fitneßstudios verbringen. Von der Ästhetik her sieht alles schwer nach Werbefernsehen aus, doch in Wirklichkeit ist es die RTL-Soap „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“, GZSZ. Die Gespräche drehen sich um Liebe, Eifersucht, Geld, Freunde und die eigene Familie – also um nichts Besonderes eigentlich.

Der ehemalige Theaterregisseur Joachim Kosack ist Redakteur der GZSZ und als solcher Chef der sechs Storyliner, die die Geschichten erfinden. Daß er sich täglich neue Szenen für die GZSZ- Teenies ausdenken muß und selbst nicht mal mehr Twen ist, stört Kosack nicht. Neue Ideen kommen ihm immer, woher, kann er nicht so genau sagen: „Weiß ich eigentlich nicht, aus dem Leben halt.“

Kosacks Aufgabe besteht neben dem Erfinden der Geschichten darin, die Produktionsblöcke aufeinander abzustimmen und die Inhalte gegenüber den Produzenten und den RTL-Redakteuren zu behaupten. Mittlerweile hat er ein ziemlich gutes Gespür dafür entwickelt, was Zuschauern und Geldgebern gefällt – und das ist wichtig, denn über die Zukunft der Serie, und somit über seine eigene, entscheidet die Quote: „Bei uns muß alles ziemlich melodramatisch zugehen.“

Bei einigen Themen verlangt Kosacks Vermittlerfunktion diplomatisches Geschick, womit er offensichtlich keine Probleme hat: Daß Geschichten abgelehnt werden, kommt selten vor – kein Wunder, denn heikle Themen werden bei Dailys von vornherein ausgeklammert. In der Sendersprache heißen die Serien ohnehin wenig euphemistisch „Werberahmenprogramm“. Und als angenehmes, unaufdringliches Werbeumfeld erwartet man eben eher harmlose Teenager-Sorgen.

Gebraucht werden Schrille und Ruhige

Daß auch die ganz schön schwer sein können, weiß jeder Bravo-Leser, weshalb diese Zeitschrift gewissermaßen Leib- und Magenblatt aller guten Storyliner ist; Bravo hilft, das Gehirn auf die Fließbandproduktion von Teenie- Nöten umzustellen. Ob die Autoren den jugendlichen Zeitgeist treffen, zeigt oft schon ein Blick aus dem Fenster: Wenn hysterische Girlies vor der Studiotür den männlichen Serienstars auflauern, haben die Autoren gute Arbeit geleistet. Die besteht aus „Reden und Rumspinnen“, wie Kosack es nennt. „Und zwischendurch legen wir die Füße hoch und gucken 'ne halbe Stunde Viva“ – berufshalber. Die tägliche Serie zeigt das Ergebnis dieser Zapping-Recherche.

Was bei GZSZ in Babelsberg noch Brainstorming heißt, trägt beim „Marienhof“ in München gleich den Titel „Spinnesitzung“. Denn Chef-Outliner Werner Lüder stammt aus der ehemaligen DDR, und „da hieß das nun mal so“. Vor seiner Arbeit beim „Marienhof“ war Lüder bereits Autor verschiedener Fernsehserien, davor arbeitete er als Universitätsdozent und promovierte über Carl Zuckmayer. Der Chef-Drehbuchautor von „Marienhof“ schrieb seine Doktorarbeit über Heiner Müller. „Es ist ein ganz neuer Berufszweig, so daß man von klassischen ,Karrieren‘ noch gar nicht sprechen kann“, sagt Lüder, „wobei die meisten Storyliner vorher beim Theater waren oder als Journalisten gearbeitet haben.“

GZSZ ist in dieser Hinsicht flexibler: Hier arbeiten derzeit auch ein Fahrradkurier, eine Sekretärin und ein Landwirt. Und während dort im Moment die Männer das Sagen haben, ist der „Marienhof“ überwiegend weiblich verfaßt; „völliger Zufall“, betont Lüder. Daß Frauen geeignetere Schreiberinnen sind, weil sie sich besser in andere Personen hineinversetzen können, gehört wohl eher ins Feld der Küchenpsychologie.

„Wir brauchen die Schrillen mit den spinnerten Ideen genauso wie die Ruhigeren, strukturell Denkenden“, sagt GZSZ-Kosack. Es gehe ja nicht darum, wilde Geschichten zu erfinden und das Blaue vom Himmel zu lügen. Die zeitlichen und finanziellen Grenzen, in die die Geschichte „gequetscht“ werden muß, sind für Kosack „das Brutale an diesem eigentlich doch kreativen Beruf“. Neue Orte können nur dann in die Geschichte geschrieben werden, wenn die „Auslastung“ stimmt, das heißt, wenn an ihnen viele der handelnden Personen auftauchen können – deshalb hat jede Serie ihren Bäcker, ihr Café und jede Menge Läden.

Bei einem Bordell sieht das anders aus. Obwohl sich die männlichen Marienhofer sehr bemühten: Die Auslastung des serieneigenen Puffs blieb eher unbefriedigend. Zu teure Ausstattung für zuwenig Drehmöglichkeiten – also wurde das Freudenhaus kurzerhand geschlossen, und den Marienhofern bleibt fürs Liebesleben nur wieder das eigene Schlafzimmer.

Nach gut zwei Jahren droht das Burnout

Ansonsten schielen die Storyliner beim „Marienhof“ in ihrem Realitätsanspruch durchaus auf Lindenstraßen-Qualitäten, wo kein gesellschaftlicher Konfliktstoff ausgeklammert wird: Da werden Ausländer zusammengeschlagen, die Ehe zwischen einem Türken und einer Deutschen wird wegen der unterschiedlichen Kulturen immer neuen Belastungsproben ausgesetzt, ein Mädchen wird vom Vater sexuell mißbraucht und schließlich als Lesbe geoutet – die Lohnschreiber bringen alles auf den Fernsehschirm.

Selbst im eigenen Leben wird geklaut: Ähnlich wie der Schuldirektor im „Marienhof“ wurde Werner Lüder bei der Bavaria in München als Stasispitzel denunziert. Und zur bevorstehenden Versöhnung eines zerstrittenen Paares meint er: „Ich habe meine Frau auch zweimal geheiratet.“ Denn „Herzgeschichten erzählen sich immer leicht.“

Nach ein bis zwei Jahren suchen sich die Storyliner meist schon eine neue Arbeit – irgendwann wird auch die verbotenste Liebe langweilig, und die Inhalte wiederholen sich. Oder den Autoren gehen irgendwann tatsächlich die Ideen aus – manchmal liegt selbst der banale Gedanke doch nicht so nah.