Hebron ist nur noch ein Randaspekt

Bei den israelisch-palästinensischen Verhandlungen geht es um Fortsetzung oder Abbruch des Friedensprozesses. Netanjahu verzögert, um vollendete Tatsachen zu schaffen  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

240mal vermeldeten israelische Zeitungen im vergangenen Jahr auf ihren Titelseiten einen „Durchbruch“ in den Hebron-Verhandlungen – so jedenfalls haben es Nahostbeobachter gezählt. Doch allen Schlagzeilen zum Trotz: Eine Einigung über den eigentlich schon im vergangenen Frühjahr fälligen Abzug der israelischen Truppen aus der Stadt im Westjordanland steht immer noch aus.

Seit mehr als zwei Monaten strecken sich nun die von den USA unterstützten Hebron-Verhandlungen. Wie bei früheren Gelegenheiten droht Bill Clintons derzeit in Israel weilender Nahost-Friedenskoordinator, Dennis Ross, nach Washington zurückzukehren, falls es nicht zu einer Übereinkunft kommt. Die US-Regierung verwendet weiter Zuckerbrot und Peitsche: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und der Chef der palästinensischen Autonomieverwaltung, Jassir Arafat, wurden für Ende Januar erneut in das Weiße Haus geladen – vorausgesetzt, daß bis dahin eine Übereinkunft über die Hebron-Frage erzielt worden ist und damit der Anlaß für einen telegenen Handschlag besteht.

Dabei geht es bei den Verhandlungen längst nicht mehr um die Einzelheiten der Umgruppierung der israelischen Militärs in Hebron. Zwar stehen noch einige Details zur Entscheidung: etwa die Frage einer symbolischen Sicherheitspräsenz der Palästinenser bei der Ibrahimi Moschee. Entscheidend für die Verschleppung sind sie jedoch nicht. Tatsächlich verzögert wird die Unterzeichnung durch Differenzen über die weiteren Verpflichtungen Israels aufgrund der Osloer Abkommen über die Ausdehnung der palästinensischen Autonomie. Strittig sind vor allem Termine. So hätte Israel bereits im vergangenen September damit beginnen sollen, die in den Abkommen als „Zone B“ klassifizierten Gebiete im Westjordanland an die Palästinenser zu übergeben. Dieser Prozeß sollte im kommenden September abgeschlossen sein. Hinzu kommt eine Reihe palästinensischer Forderungen zur Erfüllung von mehr als 30 Vertragspunkten, deren Termine Israel ebenfalls nicht eingehalten hat. Dazu gehört auch die den Palästinensern versprochene Landbrücke zur Verbindung des Gaza- Streifens mit den unter palästinensischer Verwaltung stehenden Teilen des Westjordanlands.

Netanjahu will derlei „Restbestände“ weiter verschieben und später im Rahmen der ebenfalls verzögerten „Endphase-Verhandlungen“ des Osloer Prozesses neu aufwerfen. So gelten die als Verhandlungen über Sicherheitsarrangements in Hebron bezeichneten Gespräche eigentlich der Kopplung zwischen der Truppenverschiebung in Hebron und der darauf folgenden Realisierung der weiteren zumeist von Israel aufgeschobenen Vertragspunkte der Osloer Abkommen.

Unterstützt von der ägyptischen Regierung bestehen die Palästinenser auf einer Präzisierung der weiteren Schritte. Angesichts des seit neun Monaten verzögerten Arrangements in Hebron verlangen sie nicht nur einen genauen Aktionsplan für die Zukunft, sondern auch Garantien der US-Regierung für die Einhaltung der mit Israel getroffenen Vereinbarungen. Damit wollen die Palästinenser vermeiden, daß Netanjahu mit der Neuregelung der Verhältnisse in Hebron praktisch den Schlußstrich unter den Osloer Prozeß zieht und in weiten Teilen des Westjordanlands den Besatzungszustand aufrechterhält.

Nicht nur die Palästinenser, sondern die arabische Welt überhaupt hat das Vertrauen in Netanjahu verloren. Die Unberechenbarkeit der israelischen Regierungspolitik hat bereits zu einer chronischen Destabilisierung des Nahen Ostens geführt. Daß der Konflikt weit über eine Krise in den israelisch-palästinensischen Beziehungen hinausgeht, zeigt auch die Eskalation an der südlibanesischen Front. Israelische Flugzeuge haben in den letzten Tagen wiederholt Ziele unweit der libanesisch-syrischen Grenze angegriffen. Auch diverse Sabotageakte gegen im Libanon stationierte syrische Truppen könnten auf das Konto des israelischen Geheimdiensts gehen. Syrien macht Israel auch für einen Bombenanschlag auf einen Bus in der vergangenen Woche in Damaskus verantwortlich. Israel dementiert, etwas mit dem Vorfall zu tun zu haben, bei dem nach offiziellen syrischen Angaben elf Menschen getötet wurden. Gleichzeitig warnt jedoch die Regierung in Jerusalem die israelische Bevölkerung vor möglichen syrischen Racheaktionen. So wird die Spannung auf einer breiten Front erhöht – die Region nähert sich einem kriegerischen Konflikt.