Pinguinfleisch und Skorbut: Die Reisen von Kapitän Eduard Dallmann

„Was meine Biographie anbetrifft, so möchte ich alles Erlebte für mich selbst behalten und wie schon gesagt, habe ich eine starke Antipathie gegen alles Veröffentlichen meiner Fahrten und Expeditionen, lassen Sie es sich genug an zu wissen, daß ich alle Erfahrungen besitze, die zu Eismeerfahrten nötig sind, da ich diese schon seit 1850 fast immer betrieben und nicht allein hier im Nord-Atlantischen und Nord Pacific-Ozean, sondern auch im Südlichen Eismeere.“

Alles über seine Reisen für sich behalten wollte in diesem Brief von 1883 Eduard Dallmann, Kapitän, Entdecker und Eismeerfahrer aus Bremen-Blu-menthal. Wie schreibt man bei derart knapper Informationslage trotzdem eine Monographie über einen der bedeutendsten deutschen Entdecker-Kapitäne aus dem 19. Jahrhundert? Der Jurist Peter-Michael Pawlik, dessen Vater unweit des Wohnhauses Dallmanns in der Blu-menthaler Kapitän-Dallmann-Straße geboren wurde, hat sich ins Kielwasser der Dallmannschen Fahrten begeben – nach Sibirien und Hawaii, nach Neu Guinea und den Azoren. Und weil die Gewässer häufig noch nie befahren wurden, saßen Dallmann und sein Steuermann oft gemeinsam auf der Rah des Fockmastes im Ausguck, um nach Riffen und Untiefen Ausschau zu halten (unser Bild).

Für den opulent bebilderten und umfangreich recherchierten Band „Von Sibirien nach Neu Guinea – Kapitän Dallmann, seine Schiffe und Reisen 1830-1896“ standen Pawlik als Primär-Quellenmaterial Dallmanns „Daten meiner Seereisen“, seine Briefe und Tagebücher sowie seine Schiffstagebücher der „Groenland“-Reise von 1873-75 zur Verfügung.

Das liest sich dann so: 16. März 1874. Abends waren die Matrosen Dreke und Snöter vollständig betrunken und machten viel Lärm an Deck und weigerten sich, dem wiederholten Befehl des Kaptains, ins Logis zu gehen und Ruhe zu halten, zu gehorchen. Oder auch so: 20./21. Januar 1874. Steuerten Östlich längs des Eises. Sehr viele Eisberge waren um uns, darunter welche von außergewöhnlichen Dimensionen. Bemerkten seit einigen Tagen Skorbut an Bord, untersuchten die Leute und fanden, daß 8 Mann vom Skorbut angegriffen waren. Wandten die bestmöglichen Mittel an, hatten Pinguine massenweise an Bord und bekamen die Kranken kein anderes Fleisch als rohes Pinguinfleisch und mußten viel Blut trinken.“

Ergänzt wird der liebevoll gestaltete Band von Reiseberichten einiger Kapitänskollegen Dallmanns und detailreichen Auslassungen über alle Schiffe, auf denen Dallmann unterwegs war: als „Trader“, der mit den Eingeborenen Tauschhandel treibt, dann als Steuermann, schließlich als Kapitän. Lesenswert allein machen schon die 21 historischen Land- und Seekarten den 207seitigen Band. Karten mit vielen weißen Flecken: unerforschtes Gebiet. Und was erforscht ist, wurde kurzerhand eingemeindet, zu Lande und zu Wasser: Bismarck-Archipel, Neu Pommern, Neu Hannover oder Kaiser Wilhelms Land heißt es in den Karten. Kein Wunder, daß die Kolonial-Reisen Dallmanns auch ideologisch vereinnahmt wurden. So geschehen in der Dallmann-Biographie des Blumen-thaler Lehrers Wilhelm Roßberg von 1940, die Pawlik erwähnt.

Klar, daß so einer wie Dallmann selten zu Haus ist. Dementsprechen knapp fällt das Thema Familie und Privatleben in Pawliks Buch aus. „Als ich in Blu-menthal aufwuchs, war Alles Seemann“, schreibt Dallmann 1893, „wenn um die Osterzeit 100 Jungens confirmirt wurden, gingen 99 davon zur See.“ Dallmann, der nie eine Schule besucht hatte, ging mit 15 Jahren, wie zuvor seine älteren Brüder.

1895, ein Jahr vor seinem Tode, wandte sich der Kapitän, mittlerweile 65jährig, an die Neu Guinea Compagnie, um noch einmal in See zu stechen. Der Wunsch wurde abschlägig beschieden, was Dallmann, so Pawlik, verbittert haben muß. Seine letzten Tagebucheintragungen sind die eines Rentiers: „24. März 1896. Heute pflanzten Erbsen und säten Kohlsaat und Suppengrün und Mairüben und Salat.“ 28. März 1896. Heute pflanzten große Bohnen und Zwiebeln und frühreife Kartoffeln.“ Alexander Musik

Peter-Michael Pawlik: Von Sibirien nach Neu Guinea – Kapitän Dallmann, seine Schiffe und Reisen 1830-1896. Hauschild Verlag 1996. 84 Mark.