"Zur Modernisierung gezwungen"

■ Interview mit Volker Hassemer, Geschäftsführer der Marketing-Gesellschaft "Partner für Berlin": "Frankfurt und München sind am Ende, Berlin kommt." Mit der Bebauung des Schloßplatzes könne man noch 20 Jahre

taz: Herr Hassemer, ist Berlin im letzten Jahr vorangekommen?

Volker Hassemer: Ja. Das Gute ist: Berlin entsteht jetzt. Teilweise braucht die Stadt die Politik auch nicht mehr so essentiell wie in den vergangenen Jahren, als es Grundsatzentscheidungen zu treffen galt. Berlin geht jetzt seinen Weg. Es ist ein Weg, der zwanzig Jahre dauern wird. Die „Schaustelle“ sollte dies deutlich machen. Es hat eine Wende gegeben bei den Empfindungen für die Baustellen in der Stadt. Die wurden schließlich nicht nur positiv gesehen. Und nach außen wollten wir die Dynamik zeigen, die Berlin ausmacht: Wir bauen unsere Zukunft. Diese Botschaft ist angekommen.

Berlin ist in Bewegung, was das Bauen angeht. Aber die Akteure hinken hinterher.

Viele hinken hinterher, und andere laufen vornweg. Daß die ganze Stadt „Los geht's!“ schreit, kann man nicht behaupten. Da ist kein großes Feuer, nur viele Kerzen. Aber ohne jene, die voraus sind, könnte die Stadt nicht in die Bewegung gebracht werden, in der sie jetzt ist.

Das betrifft nicht nur die Politik, sondern die Gesellschaft insgesamt, ob Investoren oder andere Leute; Menschen, die Freude haben an der jetzigen Herausforderung. Wahr ist, wir hinken hinter den Möglichkeiten dieser Stadt her und haben noch nicht den Rückstand aufgeholt, mit dem wir 1989 gestartet sind.

In der Politik ist wenig Neues zu spüren. Berlin ist nur Sparhauptstadt. Ist das das richtige Signal?

Nein, das ist ein falsches Signal, obwohl Sparen eine Grundvoraussetzung jeder Arbeit ist. Das hört sich paradox an, ist es aber nicht. Wenn Sie zu dieser Jahreszeit zu einem wichtigen Treffen gehen, dann ist es wichtig, daß Sie einen warmen Mantel und feste Schuhe anziehen, damit Sie sich nicht erkälten und nicht ausrutschen. Damit kann ich das Sparen charakterisieren. Aber das Eigentliche ist, dann so gut ausgerüstet zu einem Ziel zu gehen. Im Augenblick reden wir ständig darüber, daß wir dabei sind, uns den richtigen Mantel anzuziehen. Wir reden aber nicht über die Ziele, die wir erreichen wollen.

Also ist die Finanzsenatorin Fugmann-Heesing die Mutter, die sagt, Kinder, zieht euch warm an, aber Papa Diepgen müßte sagen, wo der Ausflug hingeht?

Ich hätte gerne gehabt, daß der Senat bei der Haushaltsklausur sagt, wir reden vier Tage über Sparen, und dann reden wir fünf Tage über das Machen. Sparen ist ein notwendiges Geschäft. Viel wichtiger aber ist zur Zeit, daß wir aufbrechen, daß wir neue Dinge bewegen und neue Chancen wahrnehmen.

Unser Kapital sind vor allem die neuen äußeren Bedingungen. Wir waren in zweifacher Hinsicht das Ende der Welt, vom Osten aus gesehen und vom Westen ebenso. Und wir waren innerhalb der Stadt geteilt und auch als Region. Daß das vorbei ist, gibt uns ganz spezifische Chancen. So wie wir in der Vergangenheit gedrosselt und bewegungsunfähig gemacht waren, so sind wir nun frei und fähig zur Bewegung. Die Menschen im Westen, die schon vierzig Jahre lang diese Freiheiten hatten, sind auch teilweise mit ihrer Freiheit müde geworden. Wir sind dagegen in der Situation, daß wir zum ersten Mal mit unser Kraft wirklich was anfangen können.

Noch geht es der Stadt eher schlechter als besser.

Unsere Potentiale liegen dort, wo auch unsere Probleme liegen. Wir sind ein Ort, wo große Institutionen fehlen. Wolfsburg oder Essen sind mit Großunternehmen weit besser ausgestattet als Berlin. Dafür haben wir auf allen gesellschaftlichen Feldern – Wirtschaft, Kultur oder Wissenschaft – Platz und Entwicklungsmöglichkeiten in der Stadt. Hierher kommen nicht Leute, um sich in die Hierarchien großer Unternehmen zu bewerben, sondern um selbst etwas zu unternehmen. Unser Potential ist das Junge. Das Alte ist in Erlangen, Frankfurt und Essen.

Gehört auch das Stichwort von der Dienstleistungsmetropole zum alten Denken?

Dienstleistungen werden in unseren Städten die Arbeitsplätze der Zukunft sein. Nur haben wir das Problem, daß wir die großen Dienstleistungsformen des zu Ende gehenden Jahrhunderts nicht in der Stadt haben. Wir sind darauf angewiesen, den Raum in der Stadt zu nutzen, den gedanklichen und den objektiven Raum, um neue und in der Regel kleinteilige Betriebe und Dienstleistungsformen zu entwickeln. Wir haben dabei wieder ein Problem und wieder eine Chance. Das Problem ist, daß wir nicht die großen Steuerzahler haben wie beispielsweise Frankfurt. Aber wir haben damit die Chance, daß uns diese großen Steuerzahler nicht den Entwicklungsdruck nehmen. Wir sind angewiesen auf Neuigkeiten und auf Erfindungen – Frankfurt ist das im Augenblick nicht. Aber Frankfurt wird es in dreißig Jahren sein. Wir können uns die Gelassenheit und die Ruhe des Versorgtseins von Städten wie Essen, Frankfurt und Erlangen nicht leisten. Wir sind heute in diese Modernisierungs- Expedition gezwungen, die uns im nächsten Jahrhundert sehr viel nutzen könnte.

Lob des Weges?

Lebendige Organismen reden nicht vom Ende, sondern vom Weg. Das Gute ist, daß bei uns soviel Weg ist und im Westen Europas soviel Ende. Was München oder Frankfurt erreicht hat, ist schwer zu optimieren. Die sind in einer gewissen Weise am Ende – in einem doppelten Sinn. Sie sind am Ende ihrer Entwicklung angekommen und können Sekt ausschenken. Sie sind aber auch am Ende ihrer Möglichkeiten. Was wir in Berlin machen, ist eine dramatische und schwierige Sache. Soviel Weg war nie, und gesichert ist in Berlin nichts. Aber das macht diese Stadt interessant. Hier ist noch nichts von der Stange zu kaufen.

Sie wollen die Köpfe verrücken, so wie die Stadt baulich neu verrückt wird. Ist in diesem Prozeß das Planwerk für die City ein notwendiger Schritt?

Notwendig nicht, weil die wesentlichen Entscheidungen für die Stadt bereits getroffen sind. Er ist fachlich eine antiquierte Form von Planungsarbeit, auch wenn er inhaltlich an vielen Stellen richtig ist. Es gibt in diesem Plan zehn bis fünfzehn Punkte, die alle eine gründliche Debatte zur Vorausetzung haben, wenn man sie umsetzen möchte. Wenn Sie diese Punkte mit einem Mal auftischen, kann das die Stadt nicht in angemessener Weise verdauen.

Das heißt, der Plan ist politisch dilettantisch in die Öffentlichkeit gebracht worden?

Er nutzt jedenfalls nicht die Planungskultur, die wir in den letzten fünf Jahren aufgebaut haben.

Kann sich dennoch über diesen Plan eine neue Stadtidentität entwickeln?

Das ist die positivste Nebenfolge dieses Plans. Es wird viel geredet über die „gebaute Heimat“, und es wirkt in die Stadt hinein. Das ist nicht schlecht im Sinne der Öffentlichkeitsunterhaltung. Wenn das angestrebt war, dann ist das fabelhaft. Ich habe aber fundamentale Skepsis bei der Frage, ob auf diese Weise eine seriöse Planungsarbeit angestoßen werden kann.

War, nachträglich betrachtet, die Olympiabewerbung ein falsches Projekt zur gesellschaftlichen Identitätsstiftung?

Im nachhinein: ja. Aber im vorhinein war es richtig, eine solche Möglichkeit am Schopf zu packen, um eine Stadt in Bewegung zu bringen, hin zu einem Ziel, das durchaus nicht das eigentliche Ziel war, aber Begeisterung erwecken sollte. Im nachhinein muß man feststellen, daß dieser Ansatz nicht funktioniert und die Bewegung nicht erbracht hat.

Weil das Projekt aufgestülpt war auf die Stadt?

Da bin ich mir nicht sicher. Das ist ein kompliziertes Ding. Ich glaube, die Menschen in einer veränderten Stadt empfanden sich und die gesamte neue Situation mental zu Beginn der neunziger Jahre eher als fremd. Das war vielleicht stärker als die Lust, gemeinsam eine Olympiade auf die Beine zu stellen.

Zum Jahresende wurde der Schloßplatz erneut zum Rummelplatz. Können wir uns dort einen Rummelplatz leisten?

Natürlich nicht. Rummelplätze siedeln sich aber überall dort an, wo etwas noch nicht entschieden ist. Das ist nicht sehr angenehm: Dort, wo in Paris Notre- Dame steht, haben wir einen Rummelplatz. Aber das ist eben unsere Botschaft: Wir sind im Übergang, wir sind eine unfertige Stadt.

In Berlin wird so viel gebaut, daß die Wahrscheinlichkeit, daß viel mißrät, sehr groß ist. Muß man sich also die Zeit nehmen und lieber etwas abwarten?

Ich habe eine zwanzigjährige Zeitachse in meinem Kopf. Der Zeitdruck, den wir an vielen Stellen hatten, existiert an diesem Platz nicht. Es ist völlig unausweichlich, daß sich manches von dem, was jetzt neu gebaut wird, nicht bewähren wird, auch wenn es gut gedacht war. Aber das meiste, dessen bin ich mir auch sicher, wird sich als gelungen erweisen.

Wir können also noch zwanzig Jahre warten?

Am Schloßplatz zwingen uns die Notwendigkeiten des Tages jedenfalls nicht. Es gibt allerdings auch einen Sinn der Emotionen. Vieles baut man ja nicht nur, um ein Dach über den Kopf zu haben, sondern gelungene Dinge bewegen und reißen mit. Für so etwas ist natürlich die absolute Mitte die Chance. Auch das muß man bedenken. Aber es geht nicht, daß man an einem so wichtigen Ort die Dinge halb gut oder halb schlecht macht, weil man sich unter Zeitdruck setzt. Interview: Gerd Nowakowski