Druckreife Sätze für das Schulfernsehen

■ Picasso überleben: Mit „Mein Mann Picasso“ scheitert James Ivorys Versuch, den Maler als Sonnenkönig und rabiaten Egomanen auf Leinwandformat zu stutzen

Versuche mit dem Anspruch, Picassos Verhältnis zu seinen Frauen und Geliebten zu klären, hat es in der Vergangenheit gleich dutzendweise gegeben. Verschiedene abgelegte Geliebte rächten sich zwischen zwei Buchdeckeln, die amerikanische Klatschreporterin Arianna Stassinopoulos Huffington versuchte 1988 gar aus diesen Fragmenten eine Gesamtdarstellung mit dem apodiktischen Titel „Picasso: Creator and Destroyer“ (deutsch: „Picasso: Genie und Gewalt – ein Leben“) zusammenzuzimmern. Sie scheiterte schon damals so gnadenlos wie jetzt Regisseur James Ivory mit dem Versuch, auf der Grundlage dieses Buches den Maler auf Leinwandformat zusammenzustutzen. „Mein Mann Picasso“ heißt in Deutschland der Film, der unter dem treffenderen Originaltitel „Surviving Picasso“ die zehn Jahre währende Beziehung des Malers zur 40 Jahre jüngeren Malerin Françoise Gilot aus deren Sicht zu beschreiben versucht. Sie ist die Mutter seiner Kinder Claude und Paloma und blieb die einzige Frau, die den rücksichtslosen Egomanen aus eigenem Entschluß verließ, solange sie sich menschlich und künstlerisch noch selbst behaupten konnte.

Ivorys Versuch, die Geschichte dieser Partnerschaft zu erzählen und als Schlüssel zum Verständnis des Künstlers Picasso zu instrumentalisieren, mißlingt gründlich. Sein Film ist eine zwei Stunden dauernde Aneinanderreihung gern gepflegter Platitüden. Picasso ist einmal mehr der aus den Illustrierten der 50er und 60er Jahre bekannte und gefeierte Sonnenkönig, der jeden seiner Untertanen nach den eigenen Vorstellungen formt – soweit entsprechen die Filmbilder der überlieferten Wirklichkeit. Die stets druckreifen Sätze allerdings, die Anthony Hopkins in der Rolle des Malers pausenlos deklamiert, würden jedem Beitrag fürs Schulfernsehen zur Ehre gereichen: „Ich mag das natürliche Licht“, erklärt Picasso seiner Geliebten, während er mit einem viel zu langen Pinsel auf der Leinwand arbeitet, und ergänzt nicht minder platt aufklärerisch: „Die tiefen Schatten findest du in vielen meiner Bilder, weil ich sie nachts gemalt habe.“ Sätze zum Merken für den nächsten Museumsbesuch... Ohnehin wirkt Anthony Hopkins als Picasso weder menschlich noch künstlich – er ist unerwartet blutarm. Nach Picasso komme nur noch die Leere, wird dessen ehemalige Geliebte Dora Maar gegen Ende des Films als mögliche Erklärung anbieten – nach Picasso komme nur noch Gott. Hopkins scheint aus diesem seelenlosen Mythos zwei Stunden lang nicht herausfinden zu wollen.

Auf der anderen Seite fügen sich in solcherart Pathos groteske Realsatiren, etwa die Rückblende, in der sich ausgerechnet vor dem gerade entstehenden Gemälde „Guernica“ Picassos damalige Gespielin Marie- Thérèse Walter und deren Konkurrentin Dora Maar handgreiflich um des Malers Gunst balgen. Noch alberner und für den Film absolut unerheblich erscheint Picassos erste Frau Olga Koklova (lediglich der Vollständigkeit halber) ihrem Mann als wirrer Geist auf einem Schrottplatz – es lebe die Metapher... So reiht Ivory beliebig Szene an Szene und Anekdote an Anekdote; er schafft damit weder eine interessante Fiktion noch einen dokumentarischen Spielfilm. Wer seinen Film gesehen hat, wird weder unterhalten noch informiert – bestenfalls von der zu oft unfreiwilligen Komik amüsiert, die sich aus dem enzyklopädischen Anspruch des Regisseurs ergibt. Völlig unklar bleibt deshalb auch, was Ivorys Film überhaupt erreichen will: Die Erkenntnis, daß ein guter Maler kein guter Mensch sein muß, ist ebenso alt und banal wie die umgekehrte Folgerung, daß auch Arschlöcher malen können.

Wenn es denn wenigstens Bilder zu sehen gäbe. Doch James Ivorys Film kommt fast vollständig ohne Gemälde aus – er muß es: Die mit Buch und Drehbuch nicht einverstandenen Erben des Malers verweigerten alle Reproduktionsrechte. Der Zugang zu Picasso aber kann auch im Film nur über seine Kunst gelingen. Das hatte schon 1955 Henri-Georges Clouzot erkannt, als er den bis heute noch immer fundiertesten Picasso- Film „Le Mystère Picasso“ drehte. Er zeigt den Maler fast ausschließlich bei der Arbeit. Stefan Koldehoff

„Picasso“, Regie: James Ivory;

mit Anthony Hopkins, Julianne Moore u.a.; GB 1996, 120 Min.