Millionen als Lehrgeld

Der „Flood Action Plan“ in Bangladesch schützt die Menschen nicht vor Überschwemmungen und dient kaum der Landwirtschaft  ■ Aus Brüssel Sabine Meyer

„Der Flood Action Plan ist tot! Die bisher investierten Millionen waren das Lehrgeld, um Verwaltungsbeamte von der Unmöglichkeit ihrer Projektvorhaben zu überzeugen“, verkündete Keith Pitman, Vertreter der Weltbank, dem erstaunten Publikum im Europaparlament in Brüssel.

Die Grünen hatten auf Initiative des Europaparlamentariers Wilfried Telkämper zusammen mit dem IAO-Network in Berlin und dem Bangladesh People's Solidarity Center (BPSC) in Amsterdam zur zweiten Konferenz über den Flood Action Plan in Bangladesch geladen, zu der neben Kritikern des Plans auch Geber wie Weltbank, EU und der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau kamen.

Der Flood Action Plan (FAP) sieht den Bau zahlreicher Dämme vor, um die verheerenden Überschwemmungen im Delta von Ganges und Brahmaputra zu vermeiden und die landwirtschaftliche Produktivität zu erhöhen.

Das Diskussionsklima seit der ersten europäischen FAP-Konferenz im Mai 1993 hat sich fundamental gewandelt. Damals hatte eine Allianz aus Weltbank, Regierungen und EU-Organen mit allen Mitteln – von Visaverweigerung bis zu konzertierten Absagen – die Konferenz im Keim zu ersticken versucht. Erst als die Gefahr einer zweiten Massenbewegung wie gegen den indischen Mammutstaudamm Narmada zu bedrohlich wurde, gaben die verschiedenen Entscheidungsträger unmittelbar vor Konferenzbeginn klein bei. Nur die Regierung von Bangladesch blieb bei ihrer Weigerung.

Dieses Mal war alles ganz anders. Stünde da nicht schwarz auf weiß „Weltbank“, ihr Vertreter Keith Pitman hätte mit einem Kritiker der FAP verwechselt werden können. „Der Flood Action Plan“, so konstatierte er, „ist viel zu sehr darauf abgestellt worden, die Landwirtschaft vor Überschwemmungen zu schützen, statt Menschenleben zu retten.“

Denn um Menschenleben zu retten, wird dieser Plan nach Meinung von Experten gar nicht gebraucht. Die relativ seltenen, aber immer mal wieder vorkommenden verheerenden Katastrophen werden durch Meeresfluten verursacht, die beim FAP gar keine Rolle spielen. Das proklamierte Ziel aber, die landwirtschaftliche Produktion während der Monsunzeit durch den Einsatz von Hochertragssorten zu steigern, ist gescheitert. Diese empfindlichen Sorten brauchen zwar eingedeichte Felder, da sie keine schwankenden Wasserstände vertragen. Genau diese Dämme aber bringen das seit Jahrhunderten eingespielte System fruchtbarer Überschwemmungen und den freien Zugang der landlosen Bauern und Fischer zu lebenswichtigen Ressourcen zum Stillstand.

Der Reisanbau in Bangladesch konzentriert sich traditionell auf die Trockenzeit. „Dort sind jedoch die Verbesserungsmöglichkeiten bisher gar nicht ausgeschöpft“, so Pitman.

Mit der Erhöhung der Produktivität der traditionellen Landwirtschaft sowie einer verbesserten Verteilung der Ressourcen zur Bekämpfung der Mangelernährung, an der noch über 50 Prozent Arme in Bangladesch leiden, hatten die Kritiker schon vor drei Jahren argumentiert. „Der FAP ist ein anschauliches Beispiel, wie Gelder der Entwicklungshilfe dazu beitragen, daß nicht den Ärmsten der Armen geholfen wird, sondern über Großprojekte, Zerstörung der traditionellen kleinbäuerlichen Landwirtschaft und Hybridpflanzen eine Abhängigkeit von den internationalen Nahrungsmittelunternehmen geschaffen wird“, kommentierte Wilfried Telkämper.

Der Jubel der FAP-Gegner über die neuen Einsichten der Geber ist dennoch verhalten. Immer noch sind die meisten westlichen Geldgeber nicht bereit, den Bau der im Rahmen der FAP vorgesehenen Modellprojekte einzustellen, so wie es etliche der angereisten FAP-Kritiker in einer gemeinsamen Abschlußerklärung fordern.

Das kontroverseste Negativbeispiel ist das deutsch-niederländische Versuchsobjekt in Tangail („Compartimentalization Pilot Project“, früher FAP 20), das ohne Mitspracherecht der Betroffenen weiter durchgezogen wird. Es ist vorgesehen, im Landesinneren den Wasserstand durch mit Schleusen untereinander verbundene Polder so gleichmäßig zu halten, daß bewässerungsabhängiger Hochertragsreis angebaut werden kann. Für dieses Vorhaben wurde auch Land enteignet.

„Die Beteiligung der betroffenen Bevölkerung an der Planung der Projekte ist eine Farce“, beklagt Korshed Alam von einer regionalen Organisation in Tangail. Wenn der FAP gescheitert ist, warum, wollte Peter Custers vom BPSC wissen, wird FAP 20 dann zu Ende gebaut? Und er klingt verbittert, als er den niederländischen Entwicklungsminister Jan Pronk zitiert. Der ist der Meinung: „Selbst wenn die ländliche Bevölkerung darunter leidet, für Bangladesch ist es wichtig, daß dieses Experiment zu Ende geführt wird.“

Der Schaden ist ohnehin da, bekennt auch die Weltbank, und er würde schlimmer ausfallen, wenn die im Projekt vorgesehenen Abfederungsmaßnahmen nicht ausgeführt würden. Die EU ist demgegenüber vorsichtiger geworden. Der Baustopp, den das Europaparlament für das Jamalpur Priority Project (FAP 3.1) nach der ersten Konferenz 1993 gefordert hatte, wird von der Europäischen Kommission bisher respektiert. Mittel aus dem EU-Haushalt sollen für den FAP bis auf weiteres nicht fließen.

Der Flood Action Plan heißt seit vergangenem Jahr offiziell „Flood and Water Management Strategy“. Die neue, ungewohnte Dialogbereitschaft läßt hoffen, daß es nicht bei einer reinen Namensänderung bleibt, sondern daß bei zukünftigen Anstrengungen zur Verbesserung der Ernährungssicherheit in Bangladesch das Wissen der kleinen Leute, erworben durch ein Leben mit den Fluten seit Jahrhunderten, nicht länger von westlichen „Experten“ enteignet wird. Angepaßte, auf einheimischem Know-how aufbauende Technologien und den Erhalt der biologischen Vielfalt forderten bangladeschische wie europäische Basisorganisationen gleichermaßen für zukünftiges Engagement in Bangladesch. Ökologische Landwirtschaft bildete ein wichtiges Stichwort.

Nur – der bedeutendste Gesprächspartner für die zukunftsorientierte Diskussion fehlte: Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) ließ sich bei der Konferenz entschuldigen. Das Spektakel des Welternährungsgipfels in Rom hatte die über 4.000 Beamten so erschöpft, daß für die Diskussion eines Fallbeispiels zur Veränderung der Praxis keine Energien mehr frei waren.