Danke: 89 Prozent haben einen Job

■ Im Dezember schon 4,1 Millionen (10,7 Prozent) Arbeitslose. Prognose: Bald sind 4,5 Millionen ohne Job

Berlin (taz) – Nur in seinen kühnsten Träumen hatte sich Bernhard Jagoda solche Zuwachsraten vorgestellt: 4,1 Millionen Arbeitslose wird der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit morgen voraussichtlich für den Dezember melden – die Arbeitslosenquote beträgt also 10,7 Prozent. Das wäre das erste Mal, daß die Vier- Millionen-Marke bereits im Dezember überschritten wäre. Und es geht in den nächsten Monaten weiter bergauf für den größten Arbeitgeber in Deutschland. 4,5 Millionen Arbeitslose für Januar und Februar hatte Jagoda im Dezember vorhergesagt. Dazu wird es auch kommen, sagte gestern Ursula Engelen-Kefer, die als stellvertretende DGB-Chefin auch im Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit sitzt.

Nicht nur am Jahresanfang zerbröckeln die Kohlschen Versprechen zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000: 1997 werden 4,5 Millionen Arbeitslose bei der Bundesanstalt für Arbeit registriert sein, prognostiziert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in seinen gestern vorgestellten „Grundlagen der Wirtschaftsentwicklung 1997“. Die Chancen der Bundesregierung werden „immer geringer, ihr erklärtes Ziel zu erreichen“, schreibt das DIW. Denn selbst in den wirtschaftlich besten Jahren der letzten zwei Jahrzehnte sank die Zahl der Arbeitslosen nur jeweils um 200.000. Dies konnte Kanzler Kohl nur durch die politisch gewollte unterbewertete D-Mark 1989 und den mit Steuermilliarden subventionierten Vereinigungsboom 1991 erreichen. „Bei jetzt vier Millionen Arbeitslosen benötigt man offensichtlich zehn aufeinanderfolgende Jahre ähnlich guter wirtschaftlicher Entwicklung, um die Zahl der Arbeitslosen zu halbieren“, sagen die Berliner Forscher. Allenfalls um 2,0 Prozent werde die deutsche Wirtschaft wachsen. Die Ansicht vertritt das DIW zwar schon seit längerem. Im Herbstgutachten der sechs führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute hatten sich die Berliner Forscher jedoch der Meinung ihrer regierungsfreundlichen Kollegen angeschlossen und 2,5 Prozent Wirtschaftswachstum vorausgesagt.

Die „ehrgeizigen Ziele“ (Helmut Kohl) der Bundesregierung, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 auf zwei Millionen zu halbieren, werden damit hinfällig. Kohl sah zwar im November „nicht den geringsten Grund, von diesem Ziel abzugehen“. Doch selbst Wirtschaftsminister Rexrodt glaubt nicht mehr an seines Kanzlers populistische Versprechen: „Ich hoffe, dem Ziel nahe zu kommen“, sagte Rexrodt am Sonntag. Wie dies geschehen soll, wird die Bundesregierung in ihrem Jahreswirtschaftsbericht Ende Januar zeigen: „mit Deregulierung und Liberalisierung wie 1996“, verriet eine Sprecherin gestern.

„Wenn das Reformprogramm so weitergeht wie bisher, ist eine drastische Reduzierung der Arbeitslosigkeit nicht zu schaffen“, kritisierte gestern Dieter Rath, Sprecher des Bundes der Deutschen Industrie, die Reformfreudigkeit der Bundesregierung. „Es geht nicht schnell genug.“ Erinnert man Unternehmerverbände an ihren Part zur Reduzierung, verweisen sie wie der BDI auf die überfällige „große Steuerreform 1998“ zur Entlastung der Unternehmen. Würden sie weniger Steuern auf Besitz und Umsatz zahlen, dann würden sie wieder mehr in Deutschland investieren, dann könnten sie auch wieder Menschen einstellen.

Daran arbeitet die Bundesregierung. „Sie bläst den Unternehmern Zucker in den Hintern“, sagte Rudolf Dreßler, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion, zur taz. Die Forderungen der Unternehmen nach weiterer Entlastung bezeichnete er als „Rückwärtsgesetze“. „Die Bundesregierung kann ihr Ziel nicht mehr erreichen“, sagte Dreßler. Denn allein durch die Veränderung des Arbeitsförderungsgesetzes werden in Ostdeutschland in den nächsten Monaten weitere 300.000 Menschen arbeitslos. Ulrike Fokken

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