Opake Opulenz

Ästhetizistisch: Jane Campions neuer Film „Portrait of a Lady“ nach dem Roman von Henry James  ■ Von Katja Nicodemus

Der Roman von Henry James, „The portrait of a lady“, erzählt die Geschichte der Amerikanerin Isabel Archer, die in Europa aus Trotz und Neugierde genau den Falschen heiratet.

„Daisy Miller“, „The wings of the dove“, „The golden bowl“ – Henry James hat immer wieder über junge Amerikanerinnen geschrieben, die aus emanzipiertem Eigensinn oder selbstzerstörerischen Idealen am Raffinement, den Ritualen und Zeichen der Alten Welt scheitern. Sein erklärtes Ziel: „eine Vielzahl von Bildern meiner Zeit zu hinterlassen, indem ich meine kleine runde Gestalt auf so viele Stellen wie möglich projiziere“.

Von den vielen Ebenen, die „Portrait of a Lady“ hat, ist die der Handlung für eine Verfilmung wohl die uninteressanteste. Der offenkundig cinematographische Reiz des Romans liegt in seiner fundamentalen Kritik an Darstellungstechniken wie zum Beispiel dem Porträt in der Malerei. Immer wieder setzen sich die Personen in Positur, betreten und verlassen Rahmen, formieren sich zu Kompositionen, werden mit kostbaren Gegenständen und historischen Bildern verglichen. „Pictorialness“ als umfassendes Kriterium, die Malerei als bestimmende Metapher des Textes.

So ist es nicht die Bosheit oder nur vordergründig die Gefühlskälte ihres Ehemannes, dem Amerikaner Gilbert Osmond, die Isabel Archer zum Verhängnis wird, sondern sein ästhetizistischer Blick. Gilbert Osmond macht seine gesamte Umgebung zum Bild und tötet sie dadurch ab. Die Welt wird bei ihm und seinen Seelenverwandten zu einer Anhäufung von Sammelobjekten, ewig, unverändert und von sicherem Wertzuwachs. Sammeln als Todesverdrängung und Musealisierung, deren Opfer die Heldin selbst wird. „Ich habe einige gute Stücke“, sagt der Kunstsammler Osmond, als Isabel ihn zum erstenmal besucht, „aber ich habe nicht das, was ich gern hätte.“

Die neuseeländische Regisseurin Jane Campion hat „The portrait of a lady“ als ihren Lieblingsroman bezeichnet. Daß sie ihren Film an der Komplexität der Vorlage vorbeigedreht hat, ist ihr nicht vorzuwerfen. Aber insofern interessant, als sie auf Ereignisse, Figuren und Orte nicht den durchdringenden Blick des Autors wirft, sondern genau den ästhetizistischen, dem er eigentlich den Spiegel vorhalten soll.

Campions „Portrait of a Lady“ ist im negativen Sinne opulent. Pittoresk und undurchlässig, wie die Züge eines dick aufgetragenen Porträts. Lichtdurchflutete Gärten und Parks wechseln mit dekorativen Villen, Treppenhäusern und Palästen, prächtigen Interieurs, vollgestopft mit Skulpturen und Kunstgegenständen. Jede Einstellung ein Effekt – sei es das zeitlupenhafte Vorbeirauschen eines Rockzipfels, die monochrome Überblendung, das Spiel mit der Schärfe, mit symbolischen Schatten.

Ohne Atempause und unterstützt von dramatischen Schubert- Klängen, erzaubert sich die Kamera ein vollendet komponiertes Italien von schwelgerischer Schönheit. Sporadische Unorthodoxien wie etwa die Schieflage der Kamera wirken bei solchem Kompositionswillen wie pubertäre Reflexe: Wogegen soll hier revoltiert werden? Gegen die Vorlage? Doch James' Vorlage ist unendlich respekt- und gnadenloser als die Regisseurin. Gegen visuelle Konventionen? Derer bedient sich der Film über weite Strecken selbst so beflissen, als sei er ein Lehrstück über den Goldenen Schnitt.

Mit seiner Verfilmung des Edith-Wharton-Romans „The age of innocence“ hat Martin Scorsese vor einigen Jahren ebenfalls einen ausufernden Kostümfilm gedreht. Hier war die Opulenz allerdings transparent, ein wuchtiges Zeichensystem, das die Mingotts, Archers und van der Luydens als Aushängeschilder ihrer eigenen Existenzform in Schach hielt.

Jane Campions Opulenz bleibt opak, kunstgewerblich, von einfallsreicher Austauschbarkeit. Innerhalb ihrer perfekten Kompositionen bewegen sich die Figuren wie im Vakuum. Sie sind Modelle, die sich in immer neuer Inneneinrichtung formieren, ohne die Repräsentation jemals als solche zu entlarven. Psychologische Befindlichkeiten erschließen sich allein im Dialog oder bleiben Behauptung. Deshalb, und wie zum äußeren Beweis eines Innenlebens, muß John Malkovich als Osmond so dämonisch blicken und Nicole Kidman als Isabel ständig weinen. So wird „The portrait of a lady“ zum Rührstück einer gescheiterten Emanzipation.

Am Ende steht Isabel Archer wieder vor dem riesigen Baum, unter dessen ausladenden Ästen der Film begann. Nur der Schnee und die bläuliche Leinwand suggerieren, daß sich inzwischen etwas ereignet hat.

„Portrait of a Lady“. Regie: Jane Campion. Kamera: Stuard Dryburgh. Mit Nicole Kidman, Barbara Hershey, John Malkovich u.a. USA 1996, 142 Min.