Ornament und Entertainment

Diven am Gefrierpunkt: Wong Kar-Wais „Fallen Angels“ entwirft Hongkong als verschwommene Asienmetropole zwischen jugendlichem Popnihilismus und Godard-Zitaten  ■ Von Harald Fricke

Asien hat zwei kleine Vorteile: Die Traditionen sind dort ein paar tausend Jahre älter als im Westen, der Altersdurchschnitt aber liegt bei gerade mal 30 Jahren. So ist es nur ein Katzensprung von der Melancholie zum Pop, auch im Film. Dann können buddhistische Mönche durch die Luft fliegen und im nächsten Moment „Only You“ singen, wie in Jeff Laus elegischer „Chinese Odyssey“. Oder junge Menschen treiben ziellos in Wong Kar-Wais „Fallen Angels“ zwischen Hongkongs futuristischen Kulissen umher, während sie über die Vergänglichkeit grübeln. Manchmal gehen sie tanzen, manchmal sind sie betrunken, und manchmal erschießen sie auch andere. Dabei macht die ewige Jugend Asiens mit der Zeit alle ein wenig müde.

Ursprünglich hatte Wong Kar- Wai „Fallen Angels“ als dritte Episode zu „Chungking Express“ geplant, einer Cop- und Love-Story, die nicht von ungefähr unter der Obhut Quentin Tarrantinos in den USA startete. Tatsächlich scheinen sich beide Filmemacher im Handlungschaos auf der Schwebe zum Special effect wohlzufühlen. Auch Tarrantino schachtelt gern kunstvoll drapierte Bilderknäule aus Cinema noir und Nouvelle vague, Ornament und Entertainment ineinander. Und selbst für Ulrich Gregor, der „Fallen Angels“ während der letzten Berlinale im Forum zeigte, ist Wong ein „kommerzieller, aber moderner Regisseur“.

Doch von Moderne bleibt bei Wong Kar- Wais ungebrochener Zitatwut nicht allzu viel übrig. Wo Godard mit einer schwer berechenbaren Leichtigkeit seine Charaktere aus lauter Zufällen zusammenschneidet, stilisiert der Hongkongchinese diese ohnehin schon zeichenhaft konzipierten Vorgänge hoch, als wolle er die Schönheit der Vorbilder wie in einem Spiegel einfrieren – eine Art „Rebirth of Cool“, die sich ähnlich detailbesessen in japanischem Sixties-Retrojazz wiederfindet. Dazu tragen Wong Kar-Wais Helden dann „Tank-Girl“-T-Shirts und baggy trousers oder trinken Iced Mokachino nach der Nudelsuppe.

Alles wirkt starr und doch atmosphärisch überdreht. Wenn Wong Szenen aus Godards „Atemlos“ oder „Feminin/Maskulin“, ein bißchen Scorsese und selbst Alain Resnais' „Marienbad“ rasend wie Werbeclips mit Teenagern nachstellt, dann auch, um die verehrten Autoren mitsamt ihrem Kino verschwinden zu lassen – durchaus aus Liebe zum Original. Am Ende unterscheidet sich seine Asienmetropole kaum von Paris, New York, São Paolo oder Los Angeles: Alles Urbane ist nurmehr Pastiche. Dennoch spielen sich die Geschichten der Huren, Zocker, Punks und Killer assoziativ wie im Eastern ab. Sobald sie einander begegnen, rotieren die Bilder ungebändigt wie unter dem Bannzauber der Martial Arts.

Es mag an der Mischung liegen: „Fallen Angels“ schiebt Kunstfilm und MTV ineinander oder zieht das wirre, stets einsame Großstadtleben auf ebenso ritualisierte Gesten zusammen. Agent (Michelle Reis) stakst als Parodie eines Supermodels aus der Schiffer-Schule in Latex durch eine unerfüllte Love-Story und muß selbst beim Masturbieren Kette rauchen. Ihr Partner (Takeshi Kaneshiro) dagegen darf als Auftragskiller aus dem Off frei nach Robert Mitchum in „Fahr zur Hölle, Liebling“ über die Grausamkeit der Existenz philosophieren, um anschließend völlig gefaßt ganze Pokerrunden zu erschießen. Seine Welt ist perspektivlos, sie besteht bloß aus rasch wechselnden Situationsklumpen – Filmwirklichkeit eben.

Entsprechend autistisch geht es zwischen beiden zu, man faxt sich Telefonkritzeleien zu oder neue Mordpläne, und aus einer Juke- Box säuselt dazu etwas Easy-Listening-Musik. Erst als der Killer beim Showdown weich in Zeitlupe wegstirbt, ist er zufrieden, weil in seinem Beruf immer die anderen entscheiden. Die Kamera beläßt es dabei, den spröden Nihilismus sehr getragen auf den reglosen Gesichtern verwischen zu lassen. Flüchtigkeit ist das Ziel.

Bei aller Verweisfreude ist die unentwegte Doppelung, mit der sich Wong Kar-Wai an europäischem und amerikanischem Kino abarbeitet, nicht nur eine Verbeugung. Irgendwann wird sie selbst zum erzählerischen Stilmittel. Wie bereits in „Chungking Express“ wechselt „Fallen Angels“ plötzlich in eine komplett neue Story über, die sich schon bald an Sex & Crime orientiert und damit der ersten angleicht.

Auch der stumme Charlie schlägt sich mit gelegentlichen Gaunereien durch. Nachts steigt er in Läden ein und verhökert tags darauf die Ware wieder an ihre Besitzer; oder er zwingt ihnen – schlimmer noch – seine Dienste als Friseur auf. Außer einem Vater hat er keine Menschenseele, und der Alte redet nur wunderliches Zeug in unverständlichen Dialekten.

Das Mädchen, in das Charlie verliebt ist, läßt sich von ihm ein bißchen mit dem Motorrad durch die Gegend fahren, hängt aber einem anderen hinterher. Zurück in der einsamen Zweizimmerbude, besorgt sich der Junge eine Videokamera und filmt fortan den krausen Vater, der bald stirbt. Auch hier ist der Tod nur ein herbeigewünschter Übergang vom leerlaufenden Leben in ein anderes Medium, an dessen Ende der Videofilm monoton als Erinnerungsschleife auf dem Fernsehmonitor nachschimmert. In solchen Anhäufungen von frozen moments spiegelt sich wider, was Wong Isolation nennt. Seltsam nur, daß allein diese Fremdheit ihm noch Anknüpfungspunkte liefert.

„Fallen Angels“. Regie: Wong Kar-Wai. Kamera: Christopher Doyle. Musik: Frankie Chan Fan- Kei. Mit Leon Lai Ming, Michelle Reis, Li Kar-Yan u.a. Hongkong 1995, 96 Min.