"Liebe taz..." Wo sollen wir Silvester feiern? - betr.: "Wohlstandskinder zur Raison gebracht", taz vom 2.1.1997 und "Wegen Drohung Wohnung durchsucht", taz vom 3.1.1997

Betrifft: „Wohlstandskinder zur Raison gebracht“, taz vom 2.1.97, und „Wegen Drohung Wohnung durchsucht“, taz vom 3.1.97

Jetzt ist es wohl gar nicht mehr nötig, Silvester draußen auf der Sielwallkreuzung zu verbringen, sondern mensch wird gleich persönlich von der Polizei aus der eigenen Wohnung eskortiert und stundenlang – in nicht gerade sonderlich beheizten Zellen – festgehalten, bis „keine Randale mehr gemacht werden kann“.

Dieses völlig unverhältnismäßige Vorgehen der Polizei sowie die Behandlung sämtlicher Partygäste als Schwerverbrecher wird von Herrn Innensenator Borttscheller, der auf der Party gar nicht anwesend und erst recht nicht eingeladen worden war, durch eine Hochstilisierung unserer Silvesterfeier zu einem Bürgerkriegsszenario gerechtfertigt. Dabei drängt sich doch die Frage auf, wem ein solches Bürgerkriegsszenario mehr nützt: uns oder dem Herrn Innensenator, der einen massiven Polizeieinsatz zur Rechtfertigung seiner repressiven Politik – letztes, dieses und nächstes Jahr – benötigt? Es bedarf schon einer ausgeprägten Phantasie und eines geradezu gefährlichen Mangels an historischem Verständnis, um eine Party als den Beginn eines Bürgerkriegs zu betrachten.

Es werden Menschen (eine ganze Party) in Sippenhaft genommen und kriminalisiert, die Räume ohne Hinzuziehen von ZeugInnen durchsucht und Sachen sinn- und grundlos entwendet. Was hat bitte schön ein Diktiergerät mit dem Vorwurf eines Flaschenwurfs zu tun? Hätte die Polizei nicht eher unser Altglas entsorgen und mit dem Flaschenpfand ihre Kaffeekasse aufbessern können?

Wie dem auch sei, Herr Borttscheller, hiermit fragen wir höflichst an, ob wir nicht nächstes Jahr in Ihrem Partykeller zusammen mit Ihren Wohlstandskindern Silvester feiern dürfen? Da sind wir doch hoffentlich sicher, oder? Wo sollen wir denn sonst noch in Ruhe feiern? Stephan Möbius, Hendrik Simon, Juliane Schappler, Biance Kamann sowie die Partygäste