■ IG Metall: Riester für Öffnungsklauseln in Tarifverträgen
: Anerkennung der Wirklichkeit

Es ist nur realistisch, wenn die IG Metall ins Spitzengespräch mit den Arbeitgebern das Bonbon der „Denkbarkeit“ von Öffnungsklauseln mitbringt. Es wird jetzt in Doktrin und Rhetorik der Gewerkschaften zugelassen, was in der Praxis des Lohnkonflikts zunehmend der Fall ist: Abweichungen von den zentralen Tariflinien für ins Schlingern geratene Unternehmen, damit die Betriebsräte die Lohnforderungen senken können – Überlebenshilfe also.

Nicht von ungefähr geht die IG Metall dabei voran. Längst keine Branchengewerkschaft mehr, vertritt sie die unterschiedlichsten Berufe, die nur zum Teil ans Metall gebunden sind. Die deutschen Einheitsgewerkschaften, mit denen einst das System der Tarifautonomie errichtet worden war, hatten ja auf dem Prinzip beruht: Ein Betrieb – eine Produktionsform – eine Gewerkschaft. Mit der Bindung der Gewerkschaften an Berufs- und Ausbildungssysteme, an bestimmte Arbeitsorganisationen und auch an beherrschende Rohstoffe gewann man Übersichtlichkeit über das Tarifsystem. Diese Reste des Gewerbewesens haben sich längst verloren. Und die Gewerkschaften, voran die IG Metall, mußten zu ausgedehnten Bürokratien werden, die keine Einheiten mehr bildeten. Betriebliche Sonderbedingungen über den Tarifvertrag waren deswegen notwendig und die Regel. Die Anerkennung von Öffnungsklauseln ist also die späte Anerkennung einer gewerkschaftlichen Wirklichkeit, die längst nicht mehr neu ist. Zwar muß Walter Riester weiterhin die Fahne des Flächentarifs hochhalten, weil der offene Verzicht darauf das gesamte System des sozialen Konflikts aus dem Sattel heben würde. Aber sein Zugeständnis zeigt auch, daß die Macht der Zentralen abnimmt und daß sie unter zunehmendem Druck der Betriebsräte stehen, die für ihre Unternehmen kämpfen müssen.

Ein Trost für die Gewerkschaften: Der Gegenseite geht es ebenso. Auch die Unternehmen versuchen die Tarifvereinbarungen zu umgehen und schwächen die Verbandsdisziplin. Das macht ihren Verbänden das Leben immer saurer, was manchen Verbalradikalismus erklärt, mit dem sie auf den Flächentarif eindreschen. Sie wissen, daß hier die Schwachstelle der Gewerkschaften liegt. Aber auch die meisten Arbeitgeber, vor allem die Großunternehmen, wissen, was sie an Flächentarif und Tarifautonomie haben. Ein Betriebssyndikalismus, der für die Gewerkschaften das große Tabu ist, wäre auch ihnen nicht bequem. Mit dem Aufrechterhalten der noch immer mächtigen, alten Fassaden fahren auch sie am besten. Claus Koch