RWE wittert Morgenluft in Mülheim-Kärlich

■ Revision um AKW zugelassen

Berlin (taz) – Der Sieg, den die Kläger gegen das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich im November 1995 vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in Koblenz errungen haben, ist möglicherweise nicht von Dauer. Das Bundesverwaltungsgericht (BVG) in Berlin ließ gestern die von der Betreibergesellschaft RWE Energie AG verlangte Revision gegen das Urteil von Koblenz zu.

Damit geht die juristische Auseinandersetzung um die Inbetriebnahme des 1988 aufgrund einer Gerichtsentscheidung abgeschalteten AKW in die letzte Phase. Das von RWE forcierte Rennen um das Wiederanfahren des Reaktors ist nun wieder offen. 1988 hatten die Bundesverwaltungsrichter die erste Teilgenehmigung aufgehoben. 1995 wurde dann die neue erste Teilgenehmigung aus dem Jahr 1990 ebenfalls wieder für nichtig erklärt. In Revision ging RWE gegen ein Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz, das die Teilgenehmigung von 1990 für ungültig erklärt hatte, weil bei den Modellrechnungen für den Reaktor die Erdbebengefahr im Neuwieder Becken nicht mit der notwendigen Sorgfalt eruiert worden sei.

Das BVG hat jetzt die Revision zugelassen, um die Frage erörtern zu können, ob die Genehmigungsbehörde – in diesem Fall das Land Rheinland-Pfalz unter dem Ministerpräsidenten Helmut Kohl – damals vielleicht anders entschieden hätte, wenn die Erdbebengefahr damals schon bekannt gewesen wäre.

Die Zulassung der Revision brachte den Anwalt der Klägergemeinschaft aus fünf Städten und Gemeinden und Mitgliedern der Bürgerinitiative, Wolfgang Baumann, in Harnisch. Mit dieser Entscheidung werde der längste Rechtsstreit um ein „inzwischen technisch völlig veraltetes Kernkraftwerk“ im dritten Jahrzehnt fortgesetzt. „Nach der heutigen Entscheidung besteht Aussicht, daß die verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten über die Jahrtausendwende hinweg weitergeführt werden“, sagte Baumann. Und das alles nur, um klären zu können, ob die Landesregierung in den siebziger Jahren vielleicht auch anders entschieden hätte. Baumann: „Für mich steht fest, daß das AKW bei ordnungsgemäßer Aufklärung des Sachverhaltes durch die Genehmigungsbehörde am Standort im Neuwieder Becken nicht hätte errichtet werden können.“

RWE dagegen wittert die Chance, den Meiler doch noch in Betrieb nehmen zu können. Es sei zu hoffen, daß die Bundesverwaltungsrichter nun die „negative Entscheidung“ des Gerichts in Koblenz aufheben, „damit die moderne Anlage wieder ans Netz gehen kann“. Klaus-Peter Klingelschmitt