Zwischen Palast und Knast

■ Migranten-Rap aus Bremen ist Top: Cribb 199

Das winzige „OP 23 Studio“ von Cribb-Stammproduzenten Vicente Celi ist rappelvoll. Zwischen meterhohen Regalen voller Technik, einer Dart-Scheibe, einem riesigen Mischpult mit Computer-Monitor, halbleeren Kaffeetassen und einem durchgesessenen Sofa wuseln gut ein Dutzend Leute. Musiker, Kumpels, auch Gäste wie die Asiatic Warriors aus Frankfurt. Sie sind fünf Stunden Auto gefahren, um den Cribbs beim Mischen und Reimen zu helfen – aus Respekt. Es riecht nach Gras. Inmitten des Durcheinanders brütet Cribb-Rapper Aydin über einem Text. Ein Kumpel, der „Gastarbeiter“, rappt sich warm, versucht, in den „Flow“ – den rhythmischen Fluß der Worte und der Silben zu kommen. Gleich ist er dran, seinen Beitrag zur neuen Cribb-Maxi runter zu rappen.

„Party On“ soll sie heißen. Klar, zu „Cribbtown“ konnte man auch gut tanzen. Aber auch zum zuckersüßen Chart-Rap, obwohl gerade engagierte Stücke wie „Bosna“ oder „Zwischen Knast und Palast“ Aleem, Aydin und Mike geholfen haben, mehr als nur eine von vielen Hip Hop-Formationen zu werden, die in Bremens Jugendzentren vor sich hin rappen. Keine Sorge: trotz des locker-flockigen Titels haben sich Cribb nicht auf einmal dem seichten Gelaber verschrieben. „Alles, was wir machen, hat mit Wut zu tun,“ erklärt Aydin. „Wut darüber, daß du mit schwarzen Haaren nirgends rein kommst. Du machst dich schick, freust dich und dann geht so das ganze Wochenende in Arsch.“ Dabei geht es laut Aydin nicht um das Dabeisein in irgendeinem Schickimicki-Club. „Aber das erlebst du dein Leben lang, daß du irgendwo nicht rein kommst, wenn du nicht blond bist.“

Da ist die Lehrstellensuche, da sind die Parties. Die Clubkarten- und Türsteher-Schikanen, mit denen die Discos ausländerfrei gehalten werden, sind nur ein Glied in der Kette der täglichen Diskriminierungen, die irgendwann auch bei den abgebrühtesten Migrantenkids am Selbstbewußtsein nagen. „Ich wollte eigentlich ein ruhiges, ganz normales Leben,“ sagt Aydin. „Aber das gab es nicht für mich.“ Die Cribbs sind Anfang 20. Mike stammt aus Ost-Bosnien, Aleem ist arabischer Türke, Aydins Eltern kamen aus Anatolien. Wie vielen, blieb ihnen wenig außer Rumhängen oder mal Scheiße bauen – weil das Geld für das, was als normales Freizeitverhalten gilt, nicht da war. Genau hier kommt die Cribb, im US-Slang ein Zufluchtsort, ins Spiel. Mikes Wohnung, Hausnummer 199, war in einem beschissenen Leben genau das für die anderen. „Damals hing ich ziemlich tief drin. Hatte Glück, daß es mich nicht so schlimm erwischt wie meine Brüder,“ rappt Mike mit Blick auf seinen Kumpel Igor, der im letzten Jahr noch mit der Band in die Türkei reiste und jetzt in der JVA Oslebshausen sitzt. Einziger Lichtblick der Cribbs: die Gleichgesinnten Rapper im Freizi Findorff. „Meine Eltern haben immer gesagt „mach dies, mach das“. Frei war ich nur, wenn ich die Tür hinter mir zugemacht habe,“ sagt Aydin.

Wie die Rapszene und die Posse lange ein Ersatzzuhause für die drei Rapper waren, sind Cribb 199 mittlerweile selbst zum Zufluchtsort geworden – für die, die mitrappen und rumhängen. „Alles Schicksale. Über jeden einzelnen könntest du einen Film drehen,“ sagt Aydin. „Jeder hat seinen eigenen Kopf,“ sagt Aydin. „Jeder kann irgendwas. Du kannst mir nicht erzählen, das du nichts kannst.“

Prinzip von Cribb ist, mit dem eigenen Beispiel Mut zu machen. Dazu werden die miteinbezogen, die woanders ausgegrenzt werden. „Wir rappen in den vier Sprachen, die wir können,“ erzählt der Gastarbeiter. „So können wir die Leute, die sonst nur am Rand stehen, direkt ansprechen.“ Wie viele ihrer Hörer fühlen sich die Cribbs fremd im eigenen Land. In Deutschland sind sie bestenfalls ein bißchen zu Hause. Die bosnischen oder türkischen Folk-Elemente stehen gleichberechtigt neben handelsüblichen Samples und Drumbeats. So schmerzhaft die wurzellose Zerrissenheit der zweiten und dritten Migrantengeneration für den einzelnen ist, so wichtig ist die Spannung zwischen hier und dort für den einzigartigen Charakter des Cribb-Sounds.

Wer es, wie die Cribbs, dazu noch versteht, die weit nach vorne gemischten eigenen Stimmen derart virtuos als Instrument einzusetzen und zudem ein Gespür für Melodien hat, wird zurecht populär. Wen VIVA liebt, über wen der SPIEGEL schreibt, der hat es doch geschafft, oder? Vor allem, wenn eine finanzkräftige Plattenfirma hinter der Band steht, die eine Gruppe holländischer Musikstudenten bezahlt, die live perfekt die im Studio gebastelten Cribb-Beats unterstützt. „Ich erlebe jeden Tag wie vorher,“ sagt dagegen Cribb-Rapper Aleem. Eine gute Platte mache noch keinen Star. „Und auf der Straße nützt dir das auch nichts gegen die Sprüche,“ sagt Aydin.

Allerdings: Faxe vom Nightliner-Verleih wegen der Konzert-Reise zur Musikmesse „Midem“ in Cannes, wo die Cribbs am 19. Januar auftreten, liegen bei anderen Migrantenkids wohl kaum auf dem Schreibtisch. Vorher geht es aber noch einmal kurz in die Türkei – einmal mehr eine Konfrontation mit den eigenen Wurzeln, die nicht immer einfach ist, wie Rapper Aleem weiß: „Das ist ziemlich merkwürdig. Ich bin dort seit 19 Jahren nicht gewesen. Und nun muß ich mich mit der Kultur beschäftigen, obwohl ich aus ganz anderen Gründen dahin fahre. Auch deshalb bin ich schwer am Grübeln, darüber. wer ich bin, wo ich stehe.“

Foto von Cribb, oben: Archiv

Lars Reppesgaard