Kinderparadies im Schnee

Trendwandel in französischen Skigebieten: Nach den Zeiten des Wachstums setzen viele Gemeinden auf die Familie. Nach internationalen ADAC-Tests sind Kinder in Frankreichs Bergen am besten aufgehoben  ■ Von Reimar Oltmanns

Erst tauchten sie nahezu unbemerkt vereinzelt auf – die Igludörfer, Schneerutschbahnen mit ihren Schlittenhunden und zuweilen auch Kid-Discos als schmückendes Erlebnisszenario in Kinderträumen; dort droben in den abgelegenen, verschneiten französischen Skigebieten Savoyen, Hoch-Savoyen, Isère oder auch Drôme. Das war immerhin noch zu jener Zeit, als die alpinen Winterregionen mit über 800 Schneekanonen und ihren 420 Liften wie Seilbahnen samt 1.100 Pistenkilometern mit Wucht und Wollust am Wildwestimage eines computergesteuerten Sportzirkus bastelten. – Lang ist's her.

Mittlerweile deuten die unzähligen gefütterten Anoraks, Kunststoffhosen mit Fersensteg und Pudelmützen an, daß in den französischen Alpen und Pyrenäen ein scheinbar neues Zeitalter begonnen hat – die Kinder, die „poussins“ (Küken), sind da; nicht etwa vereinzelt, sondern in überaus großer Schar.

Vorbei sind die Jahrzehnte des hemmungslosen Wachstums. Zeiten, in denen bedenkenlos Skistationen aus der Retorte gestampft, Berge wegplaniert, Kinder als lästiges Mitbringsel allenfalls geduldet wurden. Trendwandel heißt nunmehr das allseits erlebte Passepartout des familiären Müßiggangs. Denn Tempo und Rhythmus der Skiorte werden zusehends von einer kunterbunten Kindergeneration bestimmt. Dabei hat in Frankreich gerade erst die „Schneeflockenepoche der Knirpse“, die Ära der „flocons“ begonnen. Schon warnt Michel Vion, technischer Direktor für den alpinen Skilauf beim französischen Nationalverband, vor einer dick aufgetragenen Kindermode als unverbrauchtes Antlitz einer neuerlichen Ski-Epoche des Familiensinns: „Es ist doch absurd, ein achtjähriges Kind mit einem verkleinerten Outfit für Erwachsene als neuesten Trendsetterschrei über die Piste zu jagen. Rutschen wollen die im Schnee, nichts weiter.“

Nach einer Untersuchung des ADAC sind Kinder im Winterurlaub jedenfalls „am besten in den Skigebieten Frankreichs aufgehoben“. Während die Schweizer Konkurrenz sich neuerdings stetig bemüht, ihr Winterimage zu verjüngen, bieten die Franzosen bereits „die besten kindergerechten Übungshänge und spezielle Bébé- Clubs. – Und das praktisch kostenlos, wenn die Kids Lifte oder auch die Pisten in Begleitung ihrer Lehrer benutzen. Zudem bleiben Kinder nicht über Stunden sich selbst überlassen. Für ihre pädagogische Betreuung in Tagesstätten ist rund um die Uhr gesorgt.

Les Ménuires heißt etwa der Skiort in „La Vanoise“ (im Dreitäler-Eck). Hier gibt es zwei quicklebendige Kinderdörfer, die von den Kleinen von drei Monaten bis zu sechs Jahren besucht werden können, während die Eltern die Abhänge herunterzischen. Zwei Dorfvereine mit ihrem Gütesiegel „2 Kids“ bieten gar schon den Drei- bis Sechsjährigen eine spielerische Einführung in den alpinen Skilauf an.

Gesucht wird vornehmlich auch von den mittlerweile jährlich weit über dreihunderttausend deutschen Skiurlauberfamilien in Frankreich das idyllische Dorf inmitten einer noch intakten Skilandschaft. Besonders im autofreien Skiort Les Arcs gibt es an den Dreier- und Vierer-Sesselliften kein schneidiges Jet-set-Getue, keine übermäßigen Wartezeiten. Der phantastische Schnee verhindert zuverlässig vereiste oder abgeschrappte Pisten.

Gerade mit Kindern ist die meist weit angereiste Urlauberfamilie am besten im „Basiscamp“ Les Arcs, 1.600 Meter über dem Meeresspiegel, aufgehoben. Hier weicht die eher rauhbeinige Gediegenheit der ewigen „Fieberglasbretter-Diskussion“ einer freundlichen, familienbedachten Aufmerksamkeit. Irgendwie ist Les Arcs schon ein Platz zum Luftholen, Durchatmen, Fallenlassen; kein Streßgetue, kein Wichtigkeitsgebelle, leiser Familiensinn ist freundlich gefragt.

Bis zum siebten Lebensjahr sind für Kinder folgerichtig Wohnen und Skipaß gratis. Bereits im arg fragilen Alter von vier Monaten dürfen die Küken in den Kinderclub „Les Galopins“ des Hotels Cachette (geöffnet von 8.30 bis 23 Uhr). Mit dem vierten Lebensjahr zischen dann die Kinder im „richtigen“ Miniclub über ihre Pisten. Ganz nach dem auch in Frankreich geltenden Motto „Haribo macht Kinder froh“ warten bereits aufgeblasene Gummibärchen als „Slalomstangen“ darauf, raffiniert umkurvt zu werden. – Pippi Langstrumpf dieser Jahre läßt aus Frankreich grüßen.

Tatsächlich ist Frankreich schon eine durch und durch „schneeverrückte Nation“. Jedes Jahr im Februar organisieren die Schulen der Republik „classes de neige“. Dann ziehen die Grundschüler mit ihren Lehrern eine Woche lang in die Berge. Vormittags stehen die Kinder allesamt auf Skiern, nachmittags gibt es normale Schulstunden. Und nahezu immer ist es zu Beginn des Skiferien-Unterrichts ein und dasselbe Rateritual dort droben in Frankreichs Bergen um Les Arcs. Da fragt der Lehrer Jean-Luc etwa seine Schüler: „In welchem Jahr holte Jean-Claude Killy eine Goldmedaille, und wann hattet ihr die ersten Knochenbrüche auf den Hängen?“ – „Nein, niemals, Monsieur“, versichern die Kids unisono. Lehrer Jean-Luc nickt einvernehmlich. – Dort droben in den Alpen haben Frankreichs Kinderskiferien soeben begonnen.

Auskunft: Comité du Tourisme en Rhône-Alpes, 5, place Jean Jaurès, F-42021 Saint-Etienne,

Tel.: 0033-4-77432442,

Fax: 0033-4-77471639;

Comité Regional du Tourisme Rhône-Alpes, 104, route de Paris, F-69260 Charbonnières-les-Bains,

Tel.: 0033-4-72592159,

Fax: 0033-4-72592160;

Office du Tourisme,

F-73700 Les Arcs,

Tel.: 0033-4-79733730,

Fax: 0033-4-79074596.

Kinderfreundliche Skigebiete sind besonders markiert im „DSV-Atlas Winter 1997“, Verlag J. Fink- Kümmerly + Frey, Ostfildern, 704 Seiten, 300 Farbfotos, 220 Panoramakarten, 48 DM.