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Großmutter von halb Europa

Bilder rührender Familienharmonie: Eine Ausstellung zum britischen Empire unter Queen Victoria und Prince Albert im Deutschen Historischen Museum Berlin  ■ Von Christian Semler

Die Ausstellungsmacher des Deutschen Historischen Museums (DHM) in Berlin haben sich als äußerst lernfähig erwiesen. „Ihre Majestät“, H.R.H. (Her Royal Heighness), und die deutschen Pendants S.K.H. und I.K.H. bzw. schlicht S.H. gehen ihnen flüssig über den Computer. Das monarchistische Fieber verdankt sich den Vorbereitungen für die Ausstellung „Victoria & Albert, Vicky & The Kaiser“, die gestern abend im Zeughaus eröffnet wurde.

Für diese „Ein Kapitel deutsch- englischer Familiengeschichte“ untertitelte Schau hatten sich Her Majesty's Royal Collections für kurze Zeit und unter Schmerzen von einer Reihe für das Thema bedeutsamer Objekte getrennt. Auch diverse abgedankte, mit der englischen Monarchie dynastisch verbundene deutsche Fürstenhäuser hatten sich nicht lumpen lassen, wobei die Überführung der Staatskarosse der hannoveranischen Könige Ernst August und Georg V. von nicht weniger als drei niedersächsischen Banken gesponsert wurde. Die Karosse hat zwar nur vermittelt mit dem Gegenstand der Ausstellung zu tun (sie beförderte einmal den späteren englischen König Georg IV., einen notorischen Tunichtgut), macht sich als Exponat aber sehr gut.

Thematisch konzentriert sich die Ausstellung auf die Geschichte der dynastischen Beziehungen zwischen Britannien und Deutschland, darunter vornehmlich Preußen, im 19. Jahrhundert. Wie dem (ausgezeichnet erarbeiteten) Katalog zu entnehmen ist, wollen die Museumsleute mit dieser Konzentration eine frohe Botschaft vermitteln: die supranationale Familiengeschichte als „Vorwegnahme eines Zustandes selbstverständlicher, die Sprach- und Landesgrenzen mühelos überbrückender Verwandtschaft der europäischen Völker auf der Grundlage einer gemeinsamen Kultur“ (Wilfried Rogasch). Schließlich hätte man in zwei vorangegangenen Ausstellungen hinreichend die katastrophalen Ereignisse dokumentiert, die seit dem Ersten Weltkrieg diese kulturelle Gemeinsamkeit unterbrachen.

Eine wirklich rührende Interpretation – und so optimistisch! Naheliegender wäre allerdings, hinsichtlich des englisch-deutschen Verhältnisses im 19. Jahrhundert von einer gescheiterten historischen Alternative zu sprechen.

Liberaler als Preußens Militärstaat

Denn Victoria, kurz Vicky, die älteste und Lieblingstochter der englischen Königin Victoria, verkörperte seit ihrer Heirat mit dem preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm die liberal-konstitutionelle Gegenposition zum bürokratisch-militaristischen Obrigkeitsstaat Preußen, zu Bismarck und – ebenso trauriger- wie unvorhergesehenerweise – zu ihrem Sohn, dem späteren Kaiser Wilhelm II. Es gefiel dem Gott der Fürsten, Wilhelm I., einen bornierten Kommißkopp, 90 Jahre alt werden zu lassen. Und als Friedrich Wilhelm schließlich 1888 als Friedrich III. den Kaiserthron bestieg, war er bereits unheilbar an Kehlkopfkrebs erkrankt. Die 99 Tage Regentschaft reichten nicht einmal zur Entlassung Bismarcks. Die Träume der deutschen Liberalen, Hoffnungen von Leuten wie Rudolf Virchow zerstoben. Ob der Versuch einer vorsichtigen, schrittweisen Reform nach dem Vorbild Englands im preußisch-deutschen Reich noch eine Chance gehabt hätte, ist natürlich fraglich. Der Witz ist aber, daß diese „Reform von oben“ nie gewagt wurde.

In der Ausstellung des DHM werden solche Spekulationen nicht unterdrückt, aber vorherrschend ist doch das Bild einer rührenden Familienharmonie, die sich in zahlreichen Gemeinschaftsporträts, gegenseitigen Präsenten und Dokumenten wechselseitigen Wohlwollens äußert. Briefwechsel und andere schriftliche Äußerungen der fürstlichen Protagonisten sind so gut wie nicht dokumentiert, ebensowenig wie Porträts oder Äußerungen der wichtigsten zeitgenössischen Politiker in Deutschland und England, die Aufschluß über den politischen Rahmen der dynastischen Beziehungen hätten geben können. Gerade mal ein Porträt Benjamin Disraelis ist zu sehen, sein großer Gegenspieler Gladstone wurde der Aufnahme nicht für würdig befunden, von anderen „eminent Victorians“ zu schweigen.

Um naheliegenden Einwänden zu entgehen, ist die soziale Wirklichkeit in Montagen zeitgenössischer Fotos, Stiche und Illustrationen untergebracht, die als konkave Säulen, indirekt beleuchtet, die jeweiligen Ecken der Ausstellungsräume zieren, selbstverständlich ohne jede Erklärung. Dabei hätte es ziemlich nahe gelegen, das Interesse für die „labouring poor“, das schon bei Prinzgemahl Albrecht, Königin Victorias geliebtem Gatten, ausgeprägt war und das er auf die Tochter Vicky übertrug, aus dem historischen Material zu rekonstruieren. Dies geschieht einzig mit einer Fotografie einer großen Chartistenversammlung von 1948 in London, die Albert in einer seiner Mappen aufbewahrte.

So wenig Vickys Schicksal unter den Preußen aufgehellt ist, so sehr erstrahlt in der Ausstellung Alberts Bild als Prinzgemahl, Tutor und politischer Ratgeber Königin Viktorias. Alberts erstes erfolgreiches Projekt, die Londoner Weltausstellung von 1851, ist dadurch ingeniös nachempfunden, daß die Glas-Eisen-Konstruktion des Kristallpalastes an der Decke des entsprechenden Ausstellungsraumes angedeutet wird. Die je nationalen Ausstellungen werden dann durch Farblithos nach Aquarellen von Joseph Nash ergänzt – zur Freude des Publikums findet sich auch ein in die Wand eingelassener Guckkasten.

Die zahlreichen Gemälde und Stiche des glücklich vereinten Paars Victoria & Albert samt ihrer wachsenden Kinderschar kontrastieren zu der ebenso großen Zahl der Altersbilder, die die Königin/ Kaiserin, jetzt die Großmutter des halben dynastischen Europa, in entrückter Würde zeigen. Der Bogen, der sich vom biedermeierlichen Vormärz bis zur imperialen Jahrhundertwende spannt, zeigt die Geschichte einer überaus geglückten Image-Produktion. Einzig die brutal-realistische Ölskizze, die Laurits Tuxen 1894 von der Greisin entwarf, bricht aus dem offiziösen Kodex aus. In ihrer Jugend weiß sich das Paar Albert/Victoria eins mit einer Epoche, die noch geprägt ist von Natur- und Beziehungsidyllik. Victoria restauriert in dieser Zeit das vollkommen auf den Hund gekommene Renommee des Königshauses.

Ihre neunjährige Trauer nach dem Tod des Prinzgemahls wird als exzessiv abgelehnt und gefährdet das monarchische Aufbauwerk. Um so mehr versteht es Victoria, nach ihrer Rückkehr ins höfische Leben als Übermutter des Empire britische Identität zu stiften. Die Ewigwährende erlebt mit ihrem diamantenen, 60jährigen Jubiläum der Thronbesteigung 1897 eine Apotheose der Einheit zwischen Volk und Monarchie.

Wie sehr die Privatheit, die Zurückgezogenheit der Royals zugleich dynastische Propaganda beinhaltet, zeigt der schottische Highlander-Kult Victorias und Alberts. Schloß Balmoral, bis ins Detail ein Werk Alberts, des Vielbegabten, steht auch für die Integration Schottlands ins Vereinigte Königreich, für die Heimkehr der Stuarts in die legitime Ahnenreihe. Noch in Vickys, der Tochter, späterer privater Gemäldesammlung, deren Prunkstücke allesamt in der Ausstellung zu sehen sind, hängt das Standardporträt Elisabeth I., die Mary Stuart töten ließ, in unmittelbarer Nähe der Bronzebüste Karl Stuarts, des Enkels von Mary, der ebenfalls sterben mußte – er wurde im Bürgerkrieg von der siegreichen Partei Cromwells hingerichtet.

Vom Schottenrock zur Psychose

Selbst Klein-Wilhelm mußte bei Besuchen in England schottische Tracht tragen. Auf einer Fotografie von 1863 posiert er, angetan mit dem Kilt, zusammen mit seiner jüngeren Schwester Charlotte. Die Ausstellungsmacher hatten die glänzende Idee, die spätere Kiltsammlung Wilhelms, die ihn ins holländische Exil begleitete, um diese psychologisch aufschlußreichen Kinderporträts herum zu gruppieren.

Die zahlreich ausgestellten königlichen Pretiosen, die Pokale, Bestecke, Aufsätze, intarsienbesetzten Möbel etc. garantieren der Ausstellung zahlreichen Zustrom der deutschen Gold- und Edelsteinfetischisten. So schwierig sich die dynastischen Beziehungen zwischen den Häusern Hohenzollern und Hanover/Windsor bis 1914 auch gestalteten, in einem blieben sie vereint: in der Liebe fürs geschmacklose Kunstgewerbe.

„Victoria & Albert, Vicky & the Kaiser“, bis 25.3., Deutsches Historisches Museum Berlin; Katalog ca. 300 S., im Cantz-Verlag, 98 DM (während der Ausstellung 38 DM)

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