Powerfrau ohne Weg zurück

Gesichter der Großstadt: Ipek Çetinkaya engagiert sich für Schulpolitik und eine Perspektive für die zweite Generation. Erst Ablehnung der Türkei, jetzt Selbstbewußtsein  ■ Von Jens Rübsam

Manchmal, da sagen ihr die Leute so nebenbei: „Mensch, Ipek, du hast ja immer Glück.“

Was antworten auf so einen Satz? Zurückschreien: „Ja, ich habe Glück. Aber ich habe mir das Glück hart erkämpfen müssen.“? Schweigen und die Leute in ihrem oberflächlichen Glauben belassen? Oder sich mit ihnen auseinandersetzen und erklären, was hinter dem vermeintlichen Glück steckt?

Ipeks Glück, das machen die Leute an Ämtern und Funktionen und an Rollen fest. Ipek, die Klassensprecherin; Ipek im Vorstand der Schülervertretung; Ipek im Neuköllner Bezirksschulausschuß; Ipek, die Engagierte in der türkischen Studentenorganisation BTBTM; Ipek, die 19jährige Powerfrau, die immer in irgendwelchen Gremien mitarbeitet, bei denen sich alles um Bildung und Schulpolitik dreht. Wenn die Leute zudem noch hören von Ipek, der Theaterschauspielerin; von Ipek, dem Fernsehstar aus der ZDF-Vorabendserie „Unser Lehrer Doktor Specht“; von Ipek, der Politikinteressierten, die zum SPD-Jugendparteitag fährt und an Symposien teilnimmt; wenn die Leute all das hören, dann meinen sie Sätze wie jenen „Mensch, Ipek, du hast ja immer Glück“ sagen zu können. „Von meinen inneren Kämpfen wissen diese Leute gar nichts.“

Lange genug hat Ipek Çetinkaya um Selbstbewußtsein kämpfen müssen. Draußen in Buckow, wo sie aufgewachsen ist, in einer deutschen Umgebung, weil die Eltern das so wollten. In Buckow könne aus den Kindern was werden, in Kreuzberg, in einem türkischen Kiez, nicht. Die Welt war für Ipek deutsch, auch wenn zu Hause türkisch gesprochen wurde. „Als Kind habe ich nie begriffen, daß es ein Vorteil ist, mit zwei Kulturen und mit zwei Sprachen aufzuwachsen.“ Zu kraß waren die Gegensätze. Hier die strenge Erziehung ihrer Eltern, dort die deutsche Normalität. Das fing in der Kinderkrippe an, einer deutschen Kinderkrippe, als sich Ipek zum Schlafen ausziehen sollte, sich aber weigerte, weil sie das nicht kannte. Das setzte sich fort, als sie nach einem Urlaub in der Türkei beim Spielen das deutsche Wort Kastanien nicht fand. „Das ist ein unbeschreibliches Gefühl des Verlorenseins, der Hilflosigkeit.“ Das Schlimmste sei, sagt Ipek, sich nicht artikulieren zu können.

Spannungen blieben – später, in der Schule, in der Klasse, in der fast wieder nur Deutsche waren. „Ich habe mich für mein Türkischsein geschämt.“ Zunächst aus ganz simplen Gründen: Die Freundinnen durften längst einen Freund haben, sie durfte es nicht. Die Freundinnen fuhren nach Spanien in den Urlaub, sie mußte jedes Jahr in die Türkei. Dann kam es heftiger: „Mir sind Skins lieber als Türken“, bekam sie zu hören. Sie hat alles Schlechte, was die Deutschen über die Türken gesagt haben, in sich reingefressen, sie hat sie immer mehr gehaßt, diese türkischen Gangs in Kreuzberg, die sich wild durch die Gegend prügelten und das Bild der Türken zu einem schlechten machten. Sie selbst ist ja Teil dieses Bildes, und sie fühlte sich eingeschlossen in die Kritik, auch wenn dann gesagt wurde: „Na ja, du bist ja ganz nett.“

Ipek hat die Türken gehaßt. Heute weiß sie: „Mir hat einfach der Einblick dafür gefehlt, daß die Kids in Kreuzberg in überfüllten Klassenräumen zusammengepfercht werden, daß die Bildungsbedingungen dort viel schlechter sind, daß sie sich irgendwo abreagieren wollen, daß die deutsche Gesellschaft ein Stück Mitschuld an dieser Entwicklung trägt.“ Zurück bleibt ein schlechtes Gewissen, sich für etwas geschämt zu haben, was ihr eigen ist, das Türkischsein, und damals nicht rebelliert zu haben gegen diesen Nazispruch. „Ich habe mich einfach nicht getraut, als Nichtdeutsche über Deutsche zu reden.“ Mittlerweile hat sie kein Probleme damit: „Ich hasse Nazis. Ich hasse Skins.“ Das sagt sie laut und deutlich. Was Ipek heute auch laut sagt: „Ich bin Türkin.“ Viel lieber sagt sie zwar: „Ich bin Mensch.“ Aber seit sie sich mit dem Islam beschäftigt hat, hat sie genügend Selbstbewußtsein getankt. Dennoch: Wenn andere sie lediglich über ihr Türkischsein identifizieren, dann wird sie schnell mal wütend. Die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen und die türkische ablegen? „Nie! Hier geht es ums Prinzip. Ich kann doch nicht was ablegen, was zu mir gehört. Ich bin eine Synthese aus beiden.“

Ipek gehört zur zweiten Generation. Zu den türkischen Kids, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, die die Türkei nur von den Ferien her kennen. Ipek gehört zu denen, die sagen, „ich will nicht zurück“. Schon allein deswegen, weil es kein Zurück gibt. Sie kommt ja nicht von irgendwoher. Sie ist hier in Berlin geboren. „Wohin also zurück?“

Ipek gehört auch zu denen, die immer mehr umgarnt werden von den großen und den kleinen Parteien. Die Türken sind interessant geworden als WählerInnen. Abgeneigt ist Ipek der Politik nicht. CDU? „Das war mein erster Gedanke. Ich dachte, man muß Veränderungen von innen heraus praktizieren. Ich wollte quasi die CDU unterwandern. Aber vielleicht ist das doch nicht der richtige Weg.“ SPD? „Zu weit nach rechts gerutscht. Mein Streben wäre es, sie wieder auf die alte Bahn zu bringen.“ Die Grünen? „Toll, dachte ich immer. Aber ich habe gemerkt, die kritisieren nur und haben keine Verbesserungsvorschläge. So kann man keine Politik machen.“ Also doch SPD? „Ja, vielleicht. Nur was ich schade fand, auf dem Jugendparteitag wurde über Jugend und Zukunft diskutiert. Wir Ausländer kamen da gar nicht vor.“