■ Die Debatte um das zentrale Holocaust-Mahnmal in Berlin hält an – das muß sie auch
: Gedenken für Fortgeschrittene

Manchmal hat man den gespenstischen Eindruck, die Debatte um das zentrale Berliner Holocaust- Mahnmal könnte schlicht in dem enden, was eine Wettbewerbsteilnehmerin freundlich „geistige Skulptur“ genannt hatte. Schon das erste der drei neuerlich anberaumten Colloquien war vorab zur Farce erklärt worden: Nachdem alle wesentlichen Entscheidungen gefallen waren, sollte ausgerechnet noch einmal über die Frage debattiert werden, warum die Deutschen ein Mahnmal brauchen – die einzige Frage, über die nun wirklich Konsens herrschte.

Eine solche Gesprächssituation mit beschlossenem Ausgang kann eigentlich nur Liturgie oder Eklat provozieren: gebetsmühlenartige Wiederholungen der immergleichen Gebote („Du sollst keinen Holocaust haben neben mir“; „Du sollst dir kein Bildnis machen“; „Du sollst nicht begehren deines nächsten Gedenkritual“) oder die Aufkündigung der Gesprächsbereitschaft überhaupt.

Daß ein Drittes möglich war, hängt damit zusammen, daß die sogenannte Öffentlichkeit inzwischen im Umgang mit der Geschichte offenbar zu Ausdifferenzierungen in der Lage ist, mit denen sie die Experten nun vor sich hertreiben kann. Da draußen im Lande, wo man eigentlich diejenigen vermutet hatte, die ermahnt, erzogen und ästhetisch in Schach gehalten werden sollten, wohnen in Wirklichkeit diejenigen, die ein Massenpublikum sowohl für die Tagebuchaufzeichnungen Viktor Klemperers als auch die Schlachtgemälde Daniel Goldhagens gebildet hatten.

Dieses Massenpublikum konnte offenbar sowohl mit der komplizierten Position eines an Deutschland feste glaubenden verfolgten Juden etwas anfangen als auch mit den in Thrillerdiktion formulierten Schilderungen dessen, was im Kopf eines Polizisten vorging, der in Polen Massenerschießungen durchführte.

Der von der Jury ursprünglich favorisierte Entwurf, die riesige schwarze Grabplatte, entsprang noch ganz dem Impuls, die Nachfahren der Täter durch ästhetische Einschüchterung in kathartische Prozesse zu zwingen. Zu einem Teil der Auslober des Wettbewerbs – den politischen Repräsentanten nämlich — ist nun aber durchgedrungen, daß diese Art von großer Geste hinter dem bereits erreichten Stand des öffentlichen Geschichtsbewußtseins zurückbleibt.

Die drei Colloquien, die deshalb einberufen wurden, können schon nicht mehr zur Farce werden. Die „Legitimation durch Verfahren“ mag Berlins Kultursenator Radunski sich als bloße Akklamation vorgestellt haben; es wird ihm nicht gelingen. Kein Senat und keine Bundesregierung kann es sich erlauben, die Kritik an den preisgekrönten Entwürfen zu ignorieren, für die sich auf dem Colloquium nur noch zwei Befürworter fanden. Die Forderung der Initiatoren, das Gedenken müsse zu jedermanns Anliegen werden, hat sich hinterrücks längst durchgesetzt, nun muß auf neuer Verhandlungsbasis operiert werden.

Das vorausgesetzt, bleibt die Entscheidung schwierig genug. Hinter allen ästhetischen und topographischen Detailfragen lauert die eine große Unmöglichkeit: Ein Denkmal der Sieger für ihre Opfer hat es noch nie gegeben. Aus dieser Aporie kommt nicht heraus, wer die Bundesrepublik umstandslos als „Land der Täter“ betrachtet. Die Verdächtigungsrhetorik, mit der beispielsweise die Kunsthistorikerin Kathrin Hoffmann-Curtius auf dem Colloquium behauptete, hier bahne sich, „wenige Jahre nach der Wiedervereinigung“, ein „neues deutsches Nationaldenkmal“ an, ein „Gründungsopfer für die neue Republik“ macht ein gemeinsames Monument der Trauer unmöglich. Auch wird so mit Macht an einer „Gedenkhierarchie“ festgehalten: hier die Mahner und Warner, da die Deutschen.

Diese Gedenkhierarchie, der Streit um das legitimste und korrekteste Erinnern, wird immer abstrusere Formen annehmen, je weniger unmittelbare Zeitzeugen am Leben sind. Es konkurrieren das abstrakte, verschwindende oder gleich das unsichtbare Denkmal mit dem figurativen, allgemeiner zugänglichen; die Askese mit dem Gefühl; Lanzmann mit Spielberg. Die Anhänger der „High-brow“- Gedenkkultur reklamieren für sich das Schuldbewußtsein und weisen damit mehr oder weniger unausgesprochen den anderen, den „Deutschen“, die Schuld zu.

Auf dieser Gedenkhierarchie basiert auch der Vorschlag, das Mahnmal in Richtung Gedenkstätte, in Richtung kognitiver Annäherung vorzurücken, am liebsten auf das Gelände der „Topographie des Terrors“, wo es nur diejenigen zu Gesicht bekommen, die schon Bescheid wissen.

Auf dem Colloquium – auch das rechtfertigt es – waren alle ästhetischen Varianten dieses „Gedenkkulturstreits“ vertreten: Michael Stürmer plädierte ohne Zögern für den „heiligen Totenhain“ und die „Trauerschlucht“; die Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann will eine Gedenk- und Begegnungsstätte, der Architekt Arie Rahamimoff eine an religiöse Traditionen anknüpfende Form mit Namen und einem Gebetsraum, eine Studentin forderte die von „gelben Sirenen auf den Dächern“ eingeläutete Schweigeminute im ganzen Land, dem israelischen Gedenktag nachempfunden.

Gerade angesichts des zum Teil absurden Geplappers, das mitunter auf dem Colloquium zu hören war (die schönsten Versprecher waren „Typographie des Terrors“ und „steinerndes Denkmal“) kann man hoffen, daß sich jenseits der Expertenkreise still und heimlich tatsächlich die Normalität eingeschlichen hat, vor der uns unsere Mahner immer gewarnt haben: Normal ist, mit dem Staat wie dem der Nazis nichts am Hut haben zu wollen, die Verfassung als komfortablen Schlußstrich zu betrachten und sich irgendwie verantwortlich, aber nicht schuldig fühlen zu wollen; normal ist auch, sich mit der Familie Weiß aus der Fernsehserie „Holocaust“ zu identifizieren, auch wenn das nicht die Benutzung jüdischer Gedenkrituale legitimiert; und normal ist, vor dem Massenmord an Juden zu erschrecken und ihren Tod zu betrauern. Mit „Trauer, Entsetzen und nicht Schuld, sondern Scham“ beschrieb der Historiker Jürgen Kocka, was ein Denkmal bestenfalls ausdrücken könnte. Wenn sich die Auslober von der Vorstellung verabschieden könnten, daß es außerdem auch noch einschüchtern und gedenkästhetische Superlative (lauter, schneller, weiter als Yad Vashem!) bedienen soll, könnte vielleicht sogar wirklich etwas zustande kommen. Mariam Niroumand