„Nicht umgefallen“

■ Wackelt Justizsenator Hoffmann-Riem? Nein, sagt er im taz-Interview. Verwahrungshaft sei mittelalterlich. Morgen diskutiert die Bürgerschaft die Krise der Justiz

taz: Die öffentliche Aufregung ist groß: Vier flüchtige Knackis in einer Woche. Strengere Überprüfung von Ausgängen haben Sie daraufhin angekündigt. Nun droht Ihnen ein Richter der Strafvollstreckungskammer damit, Haftlockerungen notfalls mit einstweiligen Anordnungen durchzusetzen. Ärgert Sie das?

Hoffmann-Riem: Nein, es macht doch deutlich, daß Lockerungen im Strafvollzug einen Drahtseilakt erfordern. Ich habe nicht die inhaltlichen Maßstäbe verändert, sondern will nur beim Prüfungsverfahren strikter vorgehen. Die Gefangenen werden alle Lockerungen bekommen, die angebracht sind. Aber es gibt auch ein Recht der Bevölkerung auf Schutz. Das Gesetz sieht vor, zwischen diesen Interessen abzuwägen.

Müssen sich bestimmte Knackis Lockerungen nun abschminken?

Nein. Im Prinzip macht es bei jedem Gefangenen Sinn, daß er oder sie auf die Entlassung vorbereitet wird. Freiheit einzuüben bedeutet, daß das Risiko der Rückfälligkeit kleiner und insgesamt die Sicherheit der Bevölkerung größer wird.

Nehmen Sie Ihre Aussage, im Zweifel müsse gegen Haftlockerungen entschieden werden, zurück?

Wenn man im Zweifel ist, ob der Gefangene den Hafturlaub mißbraucht, muß gegen Lockerungen entschieden werden.

Damit geben Sie dem öffentlichen Druck nach.

Überhaupt nicht. Wenn der Strafvollzug im Binnenbereich relativ offen sein soll, muß er trotzdem sein Versprechen, daß die Leute sicher sind, auch wahren.

Die miserablen Bedingungen in Santa Fu sind seit langem bekannt. Wieso passiert nichts?

Die Stadt Hamburg hat sich in den letzten Jahrzehnten entschieden, ihren Strafvollzug weiterhin in alten Gebäuden durchzuführen. Das kann ich nicht ändern. Aber in diesem Rahmen habe ich mich für erhebliche bauliche Verbesserungen eingesetzt. Es geschieht durchaus etwas.

Eine Strafvollzugsbeamtin wurde vergangene Woche zusammengeschlagen. Stellt das den Einsatz von Frauen in Männerknästen in Frage?

Auf keinen Fall. Es hätte auch ein Mann überfallen werden können. Risisken sind im Strafvollzug nicht völlig auszuschließen, auch nicht durch mehr Personal.

Viele Häftlinge befürchten jetzt, den Lockerungsmißbrauch einiger weniger ausbaden zu müssen.

Es wird keine Sanktionierungen zu Lasten anderer geben. Lockerungen werden weiterhin genehmigt, wenn kein Anhaltspunkt für Mißbrauch vorliegt.

Ihr Ton hat sich aber deutlich verschärft. Druck im Senat?

Im Senat war das bisher kein Thema. Ich fühle mich nicht unter Druck. Mein Ziel ist weiterhin der Behandlungsvollzug und nicht die Verwahrung, die mittelalterlich ist und der Gesellschaft nicht hilft. Das langfristige Ziel – Sicherheit durch Resozialisierung – darf man aufgrund der Tagespolitik nicht aus den Augen verlieren.

Ist die Krise der Justiz also viel Lärm um nichts?

Nein, sicher nicht. Aber die Krise besteht nicht aus vier flüchtigen Häftlingen, sondern aus einem Ansteigen der sozialen Probleme weltweit und neuen Kriminalitätsformen. Wir antworten darauf mit Gebäuden aus dem vorigen Jahrhundert, mit Konzepten aus den sechziger Jahren und mit knappen Finanzmitteln. Das reicht nicht. Wir müssen viele Fragen neu stellen.

Welcher Vowurf der letzten Tage hat Sie am meisten getroffen?

Bedauerlich finde ich, daß in den Medien und von der Oppositon der Eindruck erweckt wird, als könne durch eine einfache Entscheidung etwas verändert werden, was strukturell über Jahrzehnte gewachsen ist – eine unsinnige Erwartung, die ich deutlich zu machen versuche. Dies als Umfallen aufzufassen, halte ich für eine naive Psychologisierung. Interview: Silke Mertins