Sieben Grundwitze

■ Spurensicherung über den Schenkelklopferhumor einer abgelaufenen Zeit: "Jonny, der Heizer", 22.15 Uhr, ZDF

Der kleine Mann auf der Bühne ist im wahrsten Sinn eine Witzfigur. Jonny Buchardt ist „Alleinunterhalter“. Als Handlungsreisender in Sachen Lachen tritt er bei der Weihnachtsfeier der Sparkasse oder der Jahresvollversammlung der Kaninchenzüchter auf. Sein Humor ist nicht gerade englisch, er zündet erst nach dem dritten Glas Bier.

Die Dokumentaristen Mischka Popp und Thomas Bergmann haben diesem Fossil der Branche ein liebevolles Porträt gewidmet. Im Rahmen der ZDF-Reportagereihe „37o“ zeichnet ihr Film „Jonny, der Heizer“ in beiläufig geführten Gesprächen das Leben des Komikers nach und entwickelt dabei ganz beiläufig auch eine kleine Mediengeschichte des Lachens.

Jonny Buchardt war einst ein gefragter Entertainer. Er kennt alle Varietés von Bombay bis Helsinki, von Amsterdam bis Zürich. Nach dem Krieg war er einer der ersten deutschen Komiker, die im Ausland auftraten und ihre Sketche auf englisch präsentierten. Bekannt wurde er mit einer Parodie auf eine Gin-Werbung. In den sechziger Jahren dann lernten die Deutschen durch Jonny Buchardt ein neues Wort kennen: Crazy- Show – seine eigene Fernsehsendung, die damit begann, daß Jonny aus dem Apparat heraus durch die zerspringende Mattscheibe aufs Publikum feuerte: „Niemand schläft bei meiner Show!“ Im Gegensatz dazu wirkt Wigald Bonings „Dranbleiben, ich pfeife auf Sie“ unendlich abgestanden.

Trotzdem spielt Buchardt im heutigen Fernsehbetrieb keine Rolle mehr und tingelt statt dessen durch die Provinz („180.000 Kilometer pro Jahr“). Mit ihrem immer wieder an den Abseitigkeiten des Alltags geschulten Blick („Herzfeuer“, „Giftzwerge“, „Die Heimwerker“), der statt harmonischer Geschichten jeweils den Eigenwert des Schrulligen und Halbschrägen hervorkehrt, gelingt es Mischka Popp und Thomas Bergmann zu zeigen, daß der kleine Mann nicht heruntergekommen, sondern, im Gegenteil, sich selbst treu geblieben ist.

Der Film führt den Komiker nicht vor, er porträtiert jemanden, den man heute nicht mehr oft antrifft: einen soliden Handwerker. „Es gibt sieben Grundwitze“, erklärt Jonny, „und alle weiteren sind davon abgeleitet.“

Jonny, der Kracher, hat sein Metier von der Pike auf gelernt. Seine Laufbahn begann der Sohn eines Artistenehepaars als Tänzer und Akrobat. Weil seine Versuche als Ballettänzer aber unfreiwillig komisch wirkten, trat er ganz einfach in die Fußstapfen seiner Mutter, die sich bereits selbst als Komikerin einen Namen gemacht hatte. Das war vor 50 Jahren. Heute sitzt der nach wie vor aktive „Heizer“ mit seiner 42 Jahre jüngeren Frau auf dem Sofa, umgeben von (sprichwörtlichem) Gelsenkirchener Spätbarock, und erzählt Witze, über die man, wie es so schön heißt, trotzdem lacht. Der Film zeigt auf humorvolle Weise, daß Jonny seinen Beruf, komisch zu sein, zwar überaus ernst nimmt, aber das Lachen dabei nicht verlernt hat.

Trotzdem gibt es Entwicklungen, die selbst an diesem Urgestein des Schenkelklopfens nicht spurlos vorübergehen. Werden dreitausend Leute eines Stahlkonzerns entlassen, dann kann selbst „der Heizer“ auf der Weihnachtsfeier der Stahlkocher keine rechte Stimmung entfachen.

Interessant an dem Film ist, daß Popp/Bergmann einen Komiker porträtieren, dessen gesamter Humor in gewisser Weise unschuldig geblieben ist, weil er ohne den heute üblichen Zynismus auskommt und daher aus einer Zeit stammt, die mit der heutigen Wirtschaftskrise endgültig vorüber ist. Wenn Jonnys Nachfolger, die heutigen TV-Clowns, das Publikum amüsieren, so wird hauptsächlich darüber gelacht, daß es nichts mehr zu lachen gibt. Manfred Riepe