Warten bis zum Kollaps

Bulgariens Schulden verschlingen inzwischen die Hälfte der Staatseinnahmen. Die Lebenshaltungskosten haben sich in einem Jahr verdreifacht  ■ Von Keno Verseck

Bukarest (taz) – Als die Warnung kam, war es zu spät. Ende April letzten Jahres prophezeite ein Wirtschaftsberater der bulgarischen Regierung einen Währungszusammenbruch, wenn die Exekutive nicht bald handeln würde. „Die Anhäufung von jahrelangem Nichtstun hat einen kritischen Punkt erreicht“, so der Mann. Zwei Wochen später war es soweit. Innerhalb weniger Tage stieg der Kurswert der bulgarischen Währung gegenüber dem Dollar auf mehr als das Doppelte. Ein Run auf die Banken setzte ein. Die meisten Geschäfte nahmen zeitweise keine Leva mehr an, sondern wollten ihre Waren nur noch für Dollars oder D-Mark hergeben.

Auf der Rangliste der osteuropäischen Länder, die Erfolge und Mißerfolge beim Übergang zur Marktwirtschaft verzeichnet, steht Bulgarien seitdem an letzter Stelle. Selbst Albanien, das als das ärmste europäische Land gilt, hat mehr Aussichten, seine Wirtschaft zu sanieren.

Ein Geflecht aus ökonomischen und politischen Faktoren hat dazu geführt, das Bulgarien mittlerweile das abschreckende Beispiel der Region ist. Das Land kämpfte nach dem Sturz des Diktators Todor Schiwkoff im November 1989 nicht nur mit den üblichen Problemen osteuropäischer Ökonomien wie marode Infrastruktur, Überschuldung des Staatshaushalts durch hohe Subventionen und bankrotte Großbetriebe mit veralteter Technik. Bulgarien war vom Zusammenbruch des RGW-Handels seit 1991 am stärksten betroffen, da es seine Im- und Exporte zu zwei Dritteln mit der Sowjetunion abwickelte.

Der Krieg in Exjugoslawien und das Handelsembargo gegen Serbien brachte dem Land weitere Verluste in Milliardenhöhe ein und spielte auch eine wichtige Rolle dabei, daß Auslandsinvestoren fernblieben. Schließlich steckt Bulgarien auch in einer Schuldenkrise. Wegen eines Stopps der Rückzahlung von 10 Milliarden Dollar Auslandsschulden hatte das Land nach 1989 zweitweise keinen Zugang zu Krediten. Mittlerweile macht der Schuldendienst etwa die Hälfte des Staatshaushalts aus.

Hinzu kommt die anhaltende politische Instabilität in Bulgarien. Die im Dezember zurückgetretene Regierung unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten Shan Videnov gehörte mit zwei Jahren Amtszeit zur einer der stabileren unter allen sechs postkommunistischen Regierungen. Ihre Reformpläne versandeten schon im Ansatz. Videnov ließ zwar die Energiepreise mehrfach anheben und Subventionen teilweise abbauen. Mit Schließungen von zahlreichen bankrotten Staatsbetrieben und einer Reform im Bankensektor konnte er sich jedoch nicht durchsetzen.

Die Inflation hat 300 Prozent im Jahr erreicht

Die katastrophale Lage von Staats- und Privatbanken löste im Mai schließlich den Zusammenbruch des Lev aus. Sie hatten über Jahre hinweg ohne ausreichende Garantien Kredite an Firmen im Staats- und Privatsektor vergeben, die nicht mehr zurückgezahlt werden konnten. Außerdem kam ans Tageslicht, daß einige Banken in illegale Hartwährungstranfers ins Ausland verwickelt waren. Das Vertrauen in die bulgarische Währung ist seitdem nicht zurückgekehrt.

Die Lebenshaltungskosten haben sich 1996 verdreifacht, die Inflation betrug im vergangenen Jahr über 300 Prozent. Auch die Nationalbank konnte nichts anderes tun, als die Leitzinsen wiederholt der Infaltionsrate anzupassen. Ihre Währungsreserven, die sie für Stützungskäufe benutzen könnte, schrumpften von 1,3 Milliarden Dollar Ende 1995 auf gegenwärtig 300 Millionen Dollar.

Die regierenden Sozialisten haben dem Desaster seit Monaten praktisch nur noch zugesehen. Im September strichen der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank vorläufig alle Kredite für Bulgarien, weil die Regierung Videnov die Subventionen aus dem Staatshaushalt nicht genügend abgebaut hatte und das Privatisierungsprogramm praktisch gestoppt war. Außerdem forderte der IWF die Einsetzung eines Währungsrates, um den Lev wieder zu stabilisieren.

Ursprünglich sollten Verhandlungen darüber in diesem Monat stattfinden. Nun wollen IWF und Weltbank ein Ende der politischen Krise abwarten. Von einer Stabilisierung der Währung und der Wirtschaft überhaupt scheint Bulgarien deshalb weit entfernt. Vorerst geht es ums Überleben.