■ Ein Junge sieht gern die Horrorfilmreihe "Freitag, der 13.". Er verkleidet sich als "Jason", eine Figur der Reihe, und verletzt seine Cousine mit Axthieben schwer. Ist sein Onkel, der ihm die Videofilme besorgte, juristisch mitschuldig?
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Ein Junge sieht gern die Horrorfilmreihe „Freitag, der 13.“. Er verkleidet sich als „Jason“, eine Figur der Reihe, und verletzt seine Cousine mit Axthieben schwer. Ist sein Onkel, der ihm die Videofilme besorgte, juristisch mitschuldig?

Freispruch für den bösen Onkel

Rechtsgeschichte sollte geschrieben werden, gestern am Amtsgericht Passau. Zumindest der Staatsanwalt wollte dies. Roland Huber wollte erreichen, daß zum ersten Mal in Deutschland ein Mann wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt wird, weil er einem Jugendlichen Horrorvideos geliehen hat – und weil dieser 14jährige, sein Neffe, nach dem Konsum von etlichen Filmen mit einem Beil auf seine Cousine und eine Nachbarin losging. Sechs Monate Haft mit Bewährung forderte der Staatsanwalt. Der Richter entschied anders.

Der grausame Fall geschah vor zehn Monaten in Krennerhäuser, einem kleinen Weiler in der Nähe von Passau. Christian E. verkleidete sich an diesem Tag, dem 2. März, wie häufig zuvor als „Jason“, eine Figur aus der Horrorfilm- Reihe „Freitag, der 13.“ Um halb acht Uhr abends kam er maskiert in die Küche im Haus seiner Eltern, um dort seine Cousine Michaela S. zu „erschrecken“.

Mit einer Axt schlug er auf das zehnjährige Mädchen ein; zwei Hiebe auf den Kopf verletzten sie so schwer, daß ihr der Notarzt zunächst keine Überlebenschance gab. Zwei Wochen lang lag Michaela S. im Koma; für den Rest ihres Lebens werden ihr linker Arm und ihr linkes Bein wohl nur eingeschränkt bewegungsfähig bleiben. Er verletzte auch eine Nachbarin schwer. Christian E. wurde deswegen kürzlich zu einer zweijährigen Jugendstrafe verurteilt und lebt in einem Erziehungsheim.

Doch der Staatsanwalt fragte weiter nach der Verantwortlichkeit der Eltern und des Onkels. Die Horrorfilme, die Christian E. regelmäßig sah, stammten nämlich von seinem Onkel, der sie ihm entweder persönlich gab oder durch Christians Mutter bringen ließ. „Fahrlässige Körperverletzung“ am Opfer des Jungen, seiner Cousine, sieht der Staatsanwalt in diesem Verhalten. Juristisch war dies schwieriges Terrain. Erstens muß nachweisbar sein, daß die Horrorfilme „kausal“ für die Tat waren. Das war im Fall von Christian E. noch relativ einfach. Selbst sein Onkel, der die Videos an Christian auslieh, sagte gestern im Prozeß, er habe gewußt, „daß Christian oft in der Maske des Jason herumgelaufen ist und die Michaela erschreckt hat“. Ohne Jason-Vorbild, schloß daraus der Staatsanwalt, keine Maske, keine Identifizierung mit der Filmfigur und keine Verletzung von Michaela S. Zweitens muß im Fall einer „fahrlässigen Körperverletzung“ für den Angeklagten vorhersehbar gewesen sein, welche Folgen eine Tat – in diesem Fall das Verleihen der indizierten Videos – haben kann. Dies blieb zweifelhaft: Wenn der 35jährige Albert E. im Gerichtssaal nuschelnd erzählt, daß er bis vor kurzem nicht wußte, was „indiziert“ bedeutet oder davon, daß Christian E.s Mutter schon vor zehn Jahren sich bei ihm Horrorvideos ausgeliehen hat, dann ahnt man, daß der Umgang mit solchen Filmen unhinterfragter banaler Alltag waren.

Allerdings entschuldigt Naivität oder Desinteresse nicht alles. Selbst wenn Albert E. keine konkrete Vorstellung hatte, was seine Videos auslösen könnten, hätte er doch die Alarmsignale sehen müssen, argumentierte Staatsanwalt Roland Huber: „Einmal ist Christian sogar mit der Maske und einer Waffe der Mutter entgegengetreten, was der Angeklagte auch wußte. Und es mag zwar Leute geben, die nur von 12 Uhr bis zum Mittagsläuten denken, aber das kann in diesem Fall nicht der Maßstab sein.“

Albert E.s Verteidiger Albert Loistl stieg in diese Diskussionen gar nicht ein. Er wies statt dessen auf die Verantwortung der Eltern hin, die den jahrelangen Videokonsum von Christian E. geduldet und sogar gefördert hätten: „Leider gibt es in der Bundesrepublik das Erziehungsprivileg, nach dem Eltern ihren Kindern jeden Mist zeigen können.“ Und das hätten Christian E.s Eltern ausgiebig getan. Sie seien also mindestens so verantwortlich wie sein Mandant.

Das Verfahren gegen die Eltern allerdings wurde vor einigen Tagen mit Zustimmung des Staatsanwalts unter der Bedingung eingestellt, daß sie eine Familientherapie beginnen. Sie seien genug gestraft, weil ihr Sohn seit der Tat in einem Heim leben muß.

Auch der Angeklagte Albert E. kam gestern nachmittag glimpflich davon. Er wurde vom Amtsgericht zu 3.500 Mark Geldstrafe verurteilt – allerdings nur, weil er gegen das Gesetz über jugendgefährdende Schriften verstoßen hat, nach dem er die Horrorfilme keinem Minderjährigen leihen durfte. „Wir haben nicht sicher bejahen können, ob die Tat vorhersehbar war“, lautete die Begründung, mit der Richter Klaus Huber den Angeklagten vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung freisprach. Felix Berth, Passau