: Big Little Man
■ Statt Superhelden gefesselte Kraft auf Altpapier: Die kargen Comicerzählungen des David Mazzucchelli
Ein riesenhafter Mann wird, auf ein Floß gebunden, von Farmern gefunden. Sie sperren ihn in eine Scheune ein, bewachen ihn mit Heugabeln und sichern die Tür mit einem Vorhängeschloß. Der Riese wacht auf, schreibt unverständliche Zeichen, die Farmer geben ihm zu essen.
So beginnt die Geschichte „Big Man“ von David Mazzucchelli. Die Farmer tragen plumpe Latzhosen, ihre Pickups sind alt, die Häuser aus einfachen Brettern, die Felder spröde und karg, mittendrin der „Big Man“ – so als hätte Walter Evans statt seiner Fotografien vom Dust Belt die Fortsetzung des „Hulk“ übernommen. Natur ist hier nicht Ausflugsziel, sondern Arbeit.
Für den Szenaristen Frank Miller hat Mazzucchelli „Batman“ und „Daredevil“ gezeichnet. Einige Jahre lang hat er keine Comics gemacht, um nach dieser Zeit der Metamorphose eigenwillige Autorencomics herauszubringen. Die drei Geschichten im Band „Discovering America“ sind allesamt schwermütig, zeigen in ihren Spleen verstrickte Außenseiter oder eben jenen „Big Man“.
Die graphische Gestaltung ist außergewöhnlich sorgfältig. Statt makelloser Hochglanzbögen benutzt Mazzucchelli grobes Altpapier. Die von ihm jeweils eingesetzten drei Farben erzielen so befremdlich spröde Effekte. Schatten und Muskeln etwa bilden nicht ab, sondern werden dramaturgisch eingesetzt.
„Big Man“ hilft den Farmern. Einmal wird er zu Hilfe gerufen, als ein Mann unter der stählernen Masse eines Traktors eingequetscht liegt. Ganz allein hebt der Koloß die Maschine hoch und lacht über seine Kraft. Die Farmer sehen ihn erschreckt an. Während Kraft in Superheldencomics adoleszente Allmachtsphantasien befriedigt, ist sie hier Ausdruck von Einsamkeit.
Eine Polizeistreife will „Big Man“ ein paar Seiten weiter wegen Landstreicherei festnehmen. Beim unsinnigen Handgemenge bringt er die beiden Polizisten um. Das wird nicht als Unglück dargestellt, sondern wie fast immer steckt in der Bürokratie die Logik der Katastrophe.
Das Leben atmet schwer unter dem Druck von Norm und Verspanntheit. Vier langsam-traurige Seiten braucht Mazzucchelli für den Heimweg des Farmers und für den Trost der Tochter. Das ist das Ende. Martin Zeyn
David Mazzucchelli: „Discovering America“. Arrache Coeur, Zürich 1996, 39,80 DM
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