Sakrales Silbenspiel der Körpersprache

■ José Navas zeigt vier beeindruckende Soli bei den IndepenDanceDays

Es beginnt wie ein animistisches Zeremoniell: Eine Gestalt hebt sich aus der Dunkelheit hervor und vollzieht zu einem melodischen Rauschen und Donnern in Moll einen Vortrag in Bewegungen. Mit der Präzision einer geheimen Sprache entwickelt José Navas sein tänzerisches Silbenspiel. Und dessen Alphabet ist reich, die Erzählung intensiv und in einem eleganten Stil vorgetragen.

Als zweite Aufführung des Tanz-Festivals IndepenDanceDays auf Kampnagel kam ein Venezolaner aus Kanada zu Besuch und zeigte in vier Solochoreographien ein Optimum an Bewegungsrepertoire und energischer Kreativität, lyrisch ohne Affektiertheit, athletisch ohne Protz. Mit einem selten so erlebten lockeren Fluß der Glieder betreibt Navas seine sakrale Erkundung von Körpersprache.

Dazu treibt er im zweiten Spiel, der Choreographie Sterile Fields, seine Muskeln in den Dialog mit einer Maschinenwelt. Tote Stimmen erklären den Körper zu einem Instrument, Liebe zu einer Form der Ingenieurskunst und geben die kalten Befehle „Start!“ und „Stop!“ für den Tänzer, der die Auflagen der maschinellen Bewegung befolgt und zerstört, indem er sie beseelt. Kraftvoll angespannte Ruhe und lockere Schleuderbewegungen lösen sich ab in einer Verausgabung scheinbar ohne innere Bremse.

Gerade die ungeheure Beherrschung langsamer Bewegungen, wie Navas sie in seinem dritten, sehr reduzierten Teil Postdata vorführt, zeugen in ihrer selbstverständlichen Bedachtheit von dem Ausnahmetalent des Solisten. Dabei sind auch die archaischsten Momente, die an den Kolumbianer Alvaro Restrepo erinnern, keineswegs humorlos. Vielmehr gesteht Navas sich eine Keckheit zu, die jede Schwere vergessen läßt – und nichts wäre hier unpassender als Schwere.

Im Finale Celestiales darf die Freundschaft von Lustigkeit und Beherrschung, von kriegerischer Mächtigkeit und Spaß am Beweglichen dann in einer motorischen Unglaublichkeit aufgehen. Denn während Navas seine Glieder durchaus gravitätisch über die Bühne führt, schleudert er seinen Kopf unaufhörlich im Kreis, als sei hier nicht der Sitz der Körpersteuerung untergebracht. Ohne eine Unsicherheit koordiniert er diese zwei feindlichen Bewegungen zu einer ganz eigenen Grazie.

Ein wirklich grandioser Tanzabend, der mehr Zuschauer als die paar anwesenden Tanzfans verdient hätte. Till Briegleb

heute, 20.30 Uhr, Kampnagel, k1