"Bleiberecht wäre ein gutes Signal"

■ Vor einem Jahr brannte in Lübeck ein Flüchtlingsheim ab. Zehn Menschen starben. Bürgermeister Bouteiller fordert Zivilcourage und eine Politik, die Flüchtlinge willkommen heißt. Über den Strafprozeß "po

taz: Vor einem Jahr zeigten Sie TV-Kameras weinend vor der Brandruine. Was empfinden Sie heute, wenn Sie daran denken?

Michael Bouteiller (SPD): Sie fragen jetzt nach Gefühlen ... Na ja, ein sehr warmes Gefühl. Ich sehe, wie sich der Runde Tisch und die Flüchtlinge in ihren Aktionen verstanden fühlen. Ein abstoßendes, kaltes Gefühl habe ich zu sehen, wie sich der Staat zum Bleiberecht für die 38 Flüchtlinge verhält.

Was konnte denn der Runde Tisch in Ihrer Stadt erreichen?

Immerhin wurden die privaten Wohnunterkünfte für die Brandopfer ermöglicht. Auch sind private Betreuungskonzepte ausprobiert worden. Nachhaltig hat der Runde Tisch darauf geachtet, daß bestimmte Probleme nicht unter den Teppich gekehrt wurden.

Welche meinen Sie?

Beispielsweise das betreute Einkaufen unter Aufsicht von Flüchtlingsorganisationen. Die Betroffenen bekommen ja kein Geld zum Einkaufen, was eine große Erniedrigung ist.

Der schleswig-holsteinische Innenminister kann mit Ihren Wünschen nichts anfangen. Er meint, Gesetz sei Gesetz. Wo sehen Sie die Spielräume, die Ihr Parteigenosse versäumt auszunutzen?

Da ist schwierig zu sagen. Auf Verwaltungsebene ist kaum etwas möglich. Dann muß aber das Gesetz geändert werden.

Haben Sie dazu konkrete Vorschläge?

Nicht juristischer Art. In dieser Hinsicht will das Bundesinnenministerium da keine Präzedenzfälle schaffen. Uns aber geht darum, den Lübecker Brandhinterbliebenen in jeder erdenklichen Weise zu helfen. Dazu gehört das Bleiberecht – schon aus humanitären Gründen.

Nicht nur Konservative werfen Ihnen deshalb vor, das Recht nach Belieben anwenden zu wollen.

Diese Kritik kenne ich. Aber der Brand war für die Betroffenen das existientielle Ereignis. Die Gewährung des Bleiberechts für die Hinterbliebenen wäre ein Zeichen von deutscher Seite, daß wir mit ihnen zusammenleben wollen. Deshalb lohnt es sich, dafür einzutreten. Wir wollen die Mitmenschlichkeit auf die Probe stellen.

Was schlagen Sie vor, wenn Kanther & Co. hartherzig bleiben? Kirchenasyl?

Das wäre Sache der Kirche. Auf alle Fälle müssen wir die Öffentlichkeit für das Schicksal der 38 Brandhinterbliebenen interessieren. Sonst wäre der Schritt, auf eine Gesetzesänderung zu dringen, aussichtslos.

Vielleicht nicht gerade in Lübeck, wo kürzlich das Haus des Bischofs mit Hakenkreuzen beschmiert wurde. Fühlen Sie sich noch wohl in einer Stadt, die Marianne Bachmeier, Mörderin des Mörders ihrer Tochter, vor zehn Jahren schon als „Mörderstadt“ bezeichnete, in der es „überall nach Pisse stinkt, und wo es Geschmiere gibt wie ,Türken raus‘“?

Aber da hat sich wirklich etwas verändert. Die Flüchtlinge und ihre Sprecher werden ernstgenommen. Die relevanten Gruppen in unserer Stadt haben erkannt, daß soziale Gerechtigkeit auch im Zusammenleben mit Flüchtlingen wichtig ist. 1996 hat sich ein Gefühl entwickelt, daß wir die dunklen Seiten Lübecks – die übrigens in jeder Stadt zu finden sind –, nur ändern können, wenn man entschlossen ist, Zivilcourage zu zeigen.

Manche Beobachter des Prozesses gegen Safwan Eid glauben, daß es sich um einen rassistischen Brandanschlag handelte. Teilen Sie diese Auffassung?

Nein, für diesen Verdacht gab und gibt es keinen Anlaß. Natürlich ist es aber nicht nur ein Strafprozeß, sondern auch ein Verfahren mit politischer Dimension. Im Augenblick bin ich eher positiv berührt, in welcher Form dieses Verfahren stattfindet. Das ist aber nur die prozessuale Wahrheit.

Und die andere?

Die, daß es auf uns alle ankommt, welche Schlüsse aus dem Brand zu ziehen sind. Der Ausgang des Prozesses wird – so oder so – nichts darüber aussagen, was uns politisch am Herzen liegt: eine offene Gesellschaft, die sich nicht dem Fremden gegenüber verschließt. Interview: Jan Feddersen