Dionysisches Melonenzerfetzen

Allzu verständliche Zeichen der Fremdheit: Das Roma-Theater Pralipe aus Mühlheim/Ruhr und das Schloßtheater Moers zeigen „Die Bakchen“ des Euripides als Lehrstück über die rächende Wiederkehr des Verdrängten  ■ Von Gerhard Preußer

Der fremde Gott ist Dionysos, der fremde Mensch ist der Zigeuner, der Roma. Der Fremde reizt, der Fremde bedroht uns. Reiz und Gefahr, Gott gleich Mensch – auf dieser Ambivalenz und dieser Äquivokation beruht die Inszenierung.

Für das Roma-Theater ist die Geschichte ganz einfach: Ein Fremder kommt in die Stadt, wird abgewiesen, verführt die Frauen aus Rache, verführt schließlich auch den Herrscher und läßt ihn von den eigenen Frauen ermorden. Am Schluß: diabolisches Gelächter des fremden Verführers. Das dionysische Chaos siegt über die appollinische Ordnung, der nomadisierende Orient über die westliche Zivilisation – Euripides „Bakchen“ als Lehrstück über die rächende Wiederkehr des Verdrängten und über die gesellschaftszersetzende Wirkung der Fremdenfeindlichkeit. Lehre: Weise keine Fremden ab, denn auch du findest sie eigentlich doch echt toll.

Rahim Burhan, der Leiter des Roma-Theaters Pralipe, hat die Inszenierung mit Schauspielern des Schloßtheaters Moers und seiner eigenen Truppe und mit der bühnentechnischen Mannschaft des Mülheimer Theaters an der Ruhr erarbeitet. Beide kooperierenden Theater haben vor einigen Jahren maßstabsetzende Inszenierungen des selben Stücks gezeigt: 1979 hatte Holk Freytag in Moers aus den „Bakchen“ eine Peepshow gemacht, 1988 Roberto Ciulli in Mülheim ein Bilderrätselrequiem. Gemessen an diesen beiden Meisterwerken ist die neue Inszenierung naiv. Sie setzt auf Suggestion durch Vereinfachung.

Und das geht. Besser als bei fast allen anderen Inszenierungen des Roma-Theaters in den letzten Jahren. Wenn es ein archaisches Stück in der europäischen Theaterliteratur gibt, dann ist es dieses. Wenn es in der rationalen Dialogwelt des europäischen Dramas ein Stück über Irrationalität, über das andere der Vernunft, gibt, dann ist es diese skeptische Bilanz des alten Aufklärers Euripides. Hier hat der orientalische Bilderzauber, den Rahim Burhan beherrscht, seinen Platz.

So tragen die Bakchen rote Saris wie buddhistische Mönche, Dionysos kommt im prächtigen Zaubermantel daher und spricht Romanes. Zeichen der Fremdheit stehen dem Roma-Theater aus dem Fundus der Geschichte seines Volkes leicht zu Verfügung. Dionysos ist, gespielt von Eduard Bajram, ein mädchenhafter Zaubersänger, der schon durch seine fremdartigen, präzisen wie geschmeidigen Bewegungen fasziniert. Sein Widerpart, der europäische Durchschittspolitiker Pentheus (Stefan Preiss), ist steif und herrisch, trägt einen Anzug und spricht Deutsch.

Wesentlicher Bestandteil des Stückes sind die Chorlieder. Dialog ist vernünftige Sprache, Lyrik ist Stellvertreter des Körpers in der Sprache. Daher versucht die Inszenierung aus den Chorpartien Tanzgesänge zu machen. Der Choreographie von Ronit Land fehlt es nicht an Einfällen, aber die Ausführung bleibt bei einer so bunt zusammengewürfelten, als Ballettänzer völlig untrainierten Schauspielertruppe holprig. Dionysos ist der Gott der Ekstase und des Weins. Zu oft gibt es auf der Bühne statt orgiastischer Vereinigung nur Turnverein, statt berauschendem Wein nur süßen „Traubensaft“ (wie es in der allzu wörtlichen Übersetzung von Dietrich Ebener, die hier benutzt wird, heißt).

Die Inszenierung sucht sprechende Symbole und findet allzu eindeutige: Die rasenden Bakchen spielen mit einer Wassermelone und zerfetzen sie dann. Das ist die Übersetzung des Berichts von der Zerreißung des Pentheus durch die von Dionysos berauschten Frauen in Bildersprache. Die Zweisprachigkeit der Inszenierung wird völlig plausibel eingesetzt: Dionysos und seine Bakchen sprechen überwiegend Romanes, aber wenn sie sich ihren einheimischen Dialogpartnern (und dem Publikum) unmißverständlich deutlich machen wollen, sagen sie einen kurzen deutschen Satz. Die Thebaner sprechen Deutsch, doch wenn sie dem göttergleichen Fremden huldigen, lernen sie auch Romanes. Es ist die dritte, wichtigste Sprache der Inszenierung, der es an Differenzierung und Flexibilität mangelt: die Ikonographie. Verstehen kann man auch sie nur allzu gut.

„Die Bakchen“ des Euripides (deutsch von Dietrich Ebener). Roma-Theater Pralipe. Koproduktion mit dem Schloßtheater Moers und dem Theater Mülheim/ Ruhr. Inszenierung: Rahim Burhan. Weitere Termine: 24. 1. Stadthalle Dinslaken, 28. 1. Maschinenhalle Moers, 31. 1./1. 2. Stadttheater Landsberg am Lech, 22./23. 2. Ringlockschuppen Mülheim/Ruhr