Patentschutz für Euthanasiemittel

Europäisches Patentamt stellte tödlichen Giftcocktail unter Erfinderschutz  ■ Von Klaus-Peter Görlitzer

Dürfen sich Erfinder in Europa Pharmapräparate patentieren lassen, die sie zwecks Tötung auch von Menschen entwickelt haben? Wer glaubt, eine solche Frage sei absurd, indiskutabel und stelle sich überhaupt nicht, scheint dem Zeitgeist hinterherzuhinken. Jedenfalls hat das in München ansässige Europäische Patentamt (EPA), das Patente als „Garanten für den technischen Fortschritt in einer Gesellschaft“ anzupreisen pflegt, längst Fakten geschaffen: Es hat der US-amerikanischen Michigan State University Erfindungsschutz auf „Zusammensetzungen für Euthanasie“ erteilt, Anwendung beim Menschen inklusive.

Damit ist die tödliche Giftmischung mit der Patentnummer 051 68 11 B 1 zwar noch lange nicht auf dem Markt. Würde sie irgendwann von der „Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln“, mit Sitz in London, als todsicheres Präparat für Mensch und Tier zugelassen, können Patentinhaber und Lizenznehmer jedoch reichlich Umsatz erwarten. Für die tödliche Mixtur haben die Erfinder laut Patentschrift bewußt Substanzen ausgewählt, die nicht rezeptpflichtig seien.

Solche tödlichen Optionen will eine zufällig zustande gekommene Widerstandskoalition schon im Ansatz verhindern. Unabhängig voneinander haben beim EPA Einspruch gegen das Euthanasie- Patent eingelegt: der CDU-Abgeordnete Hubert Hüppe aus Werne, eine „Europäische Arbeitsgemeinschaft Mut zur Ethik“ und die Hoechst Roussel Vet GmbH, eine Tocher des Pharmakonzerns Hoechst. Alle Einsprecher pochen auf Artikel 53a des Europäischen Patentübereinkommens. Der schließt Erfindungen von der Patentierung aus, „deren Veröffentlichung oder Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten“ verstoßen würde.

Entscheidungsbefugt ist keine externe Stelle, sondern ein Organ des EPA. Das bedeutet: Die Aussichten der Bedenkenträger hängen davon ab, ob die Einspruchsabteilung im Münchener Erfinderamt demnächst eine andere Moral offenbaren wird, als diejenige, die das Patent im selben Haus erteilt hat. An Fälle, in denen das EPA eine Erfindung als „sittenwidrig“ eingestuft habe, kann sich EPA- Sprecher Rainer Osterwalder nicht erinnern; patentierbar seien selbst mörderische Minen.

Die Prüfungsabteilung stützt ihr Ja zum Euthanasie-Erfindungsschutz nach Angaben von Osterwalder maßgeblich auf die herrschende Praxis in den Niederlanden. Dort ist aktive Sterbehilfe zwar ein Strafbestand. Doch werden Ärzte, die Patienten durch Giftinfusion töten oder ihnen einen todbringenden Cocktail reichen, unter bestimmten Vorgaben nicht belangt. „Aufgrund dieser einen Ausnahme in Europa“, so Osterwalder, „haben wir rechtlich gesehen keine Möglichkeit gehabt, dieses Patent zu verweigern.“

So sicher waren sich die EPA- Prüfer offenbar nicht immer gewesen. Im März 1994 richteten sie eine höfliche Anfrage an die Münchener Anwälte, die das Patent im Auftrag der Michigan State University angemeldet hatten. Ob sie bereit seien, ihre Ansprüche ausdrücklich auf Tiere einzugrenzen? Schließlich, so gaben die EPA-Experten zu bedenken, werteten Gesetze vieler Staaten aktive Euthanasie als Kapitalverbrechen, weswegen die Herstellung entsprechender Tötungswirkstoffe dort wohl illegal sei. Die Antwort der Patentanwälte Grünecker, Kinkeldey, Stockmayr & Partner folgte ein Vierteljahr später: Keineswegs beabsichtige man, bestehende Gesetze zu brechen. Sollte es jedoch jemals legal werden, den angemeldeten Giftmix am Menschen anzuwenden, sollte der Erfindungsschutz auch diesen Gebrauch einschließen. Das EPA lenkte ein und erteilte das Patent so wie von der US-Universität gewünscht.

Daß die Überzeugungsarbeit der Anwälte nun trotzdem in Frage gestellt wird, dafür sorgt ausgerechnet auch das Unternehmen, das die Entwicklung des Mittels in Auftrag gegeben und maßgeblich finanziert hatte: die Hoechst Roussel Vet GmbH, die sich zur Einsprecherrunde gesellt hat.

Was wie ein Widerspruch klingen mag, kann Pressesprecher Heiner Harder von der Frankfurter Hoechst-Zentrale erklären. Die US-Tochergesellschaft von Hoechst Roussel Vet habe das Institut für Veterinärmedizin der Michigan State University 1988 beauftragt, ein Mittel zu entwickeln, das Tierärzten ermögliche, unheilbar kranke Tiere einzuschläfern. Für diesen Zweck habe das Unternehmen 350.000 US-Dollar bezahlt, seine Lizenzrechte an dem zu entwickelnden Produkt bezögen sich ausschließlich auf den Einsatz bei Tieren. Mit dem gesamten Patentverfahren habe der Konzern absolut nichts zu tun, eine Anwendung der tödlichen Komposition beim Menschen habe er stets ausgeschlossen und werde dies auch in Zukunft tun.

Von dem im April 1996 veröffentlichten Euthanasie- Patent habe Hoechst erst Anfang Januar erfahren. Anschließend habe man schnellstmöglich gehandelt und wie zuvor schon Hüppe, Einspruch eingelegt, und zwar am 10. Januar 1997, dem letzten Tag der neunmonatigen Einspruchsfrist. „Wichtig ist“, betont Pressesprecher Harder, „daß wir nicht in den Geruch kommen, ein Präparat zur Tötung von Menschen in den Handel bringen zu wollen.“

Duftmarken hat einer aus dem Kreis der Einwender bereits gesetzt. Der Erlangener Rechtsmediziner Hans-Bernhard Wuermeling, Mitglied von „Mut und Ethik“ und Vorsitzender der Ethikkommission der Bayerischen Landesärztekammer, behauptet, ein „international agierendes Pharmaunternehmen“ habe die Universität von Michigan überhaupt erst dazu veranlaßt, den Anwendungsbereich des Euthanasiemittels im Patentantrag auch auf Menschen auszudehnen.

Wuermeling beurteilt die todbringende Erfindung als „sittenwidrig“. Gleichwohl hat er kürzlich im baden-württembergischen Ärzteblatt es als vernünftig und angemessen erklärt, das Leben von irreversibel bewußtlosen Patienten zu beenden – nicht durch Verabreichung von Giftmischungen, sondern durch den Entzug der künstlichen Ernährung und Flüssigkeit.

Derartige Unterscheidungen läßt der dritte im unfreiwilligen Bunde der Patent-Gegner nicht gelten. Christdemokrat Hüppe lehnt jede Tötung von Menschen ebenso ab wie die Spekulation, durch solche Taten finanzielle Gewinne erzielen zu können. „Der gedanklichen Position, die Euthanasie an Menschen für zulässig erklärt“, schreibt Hüppe in seinem Einspruch, „liegt die Erwägung zugrunde, es gebe bestimmte gesundheitliche Zustände, bestimmte Einzelpersonen oder pauschal Gruppen von Menschen, deren Weiterleben negativer zu beurteilen sei als ihr Tod.“ Die Verfügbarkeit von Tötungspräparaten werde Druck auf Patienten und Ärzte ausüben. „Euthanasie träte dann“, prophezeit er, „als alternative Behandlung in Konkurrenz zu palliativer Versorgung, medizinischer Weiterbehandlung, menschlicher Zuwendung und möglicherweise aufwendiger Langzeitpflege.“