: Pumas und Panther, Nerze und Nager
■ Die Liste der mit dem BSE-Erreger infizierbaren Tiere ist lang. Möglich ist auch die Rückübertragung auf das Schaf. Folgen für Menschen sind kaum zu berechnen
Als die Veterinäre des damaligen Bundesgesundheitsamts im Juni 1993 eine Bestandsaufnahme „zur Situation BSE“ formulierten, war die Übertragbarkeit der Rinderseuche auf andere Tierarten bereits bewiesene Sache. Auf Blatt zwei des sechsseitigen vertraulichen Reports berichteten die BGA-Experten von Übertragungen der Hirnkrankheit auf verschiedene Antilopenarten. Auch Pumas und Panther, die in britischen Zoos offenbar mit infiziertem Rindfleisch gefüttert worden waren, seien erkrankt. Versuche hätten zudem gezeigt, hieß es weiter, daß sich auch Menschenaffen, Nagetiere, Ziegen und Nerze anstecken könnten. Und: „Mindestens 40 Fälle bei Hauskatzen sind seit 1990 in Großbritannien beschrieben.“ Damit war klar: Die BSE-Epidemie kann die Artgrenzen überspringen. Sie kann sogar Tierarten gefährden, die entwicklungsgeschichtlich weit entfernt stehen von Ochs und Kuh. Und: Sie kann deshalb auch für Menschen gefährlich werden.
Vier Jahre später ist die Liste bedrohter Tierarten noch länger geworden. Das Huhn stand bisher nicht darauf. Dafür gelten inzwischen sämtliche Säugetiere als infizierbar. Dem Berliner Robert- Koch-Institut wurde sogar verdächtiges Gewebe von toten Straußen aus einem deutschen Zoo vorgelegt. Allerdings konnte die Frage, ob Vogel Strauß tatsächlich an dem BSE-Erreger eingegangen war, nicht beantwortet werden.
Große Aufregung brachte dann im vergangenen Jahr die Erkenntnis, daß die Rinderseuche auf Schafe rückübertragbar ist. Die Brüsseler Agrarkommission diskutierte bereits Notfallmaßnahmen gegen den Export von Lammfleisch – ohne sie allerdings wirklich durchzusetzen.
Das Schaf, das sich beim Rind ansteckt? Eigentlich war es umgekehrt. BSE, so die noch immer geltende Theorie, ist durch die mit ihr verwandte Schafskrankheit „Scrapie“ ausgelöst worden. Schafskadaver wurden zu Tiermehl verarbeitet und an die Kühe verfüttert. Entscheidende Ursache für den Ausbruch der Epidemie war die Umstellung der britischen Tiermehlerzeugung im Jahre 1981 mit einer Absenkung der Verarbeitungstemperatur.
Doch anders als BSE galt Scrapie bisher für den Menschen als ungefährlich. Jedenfalls konnten die Epidemiologen bisher keinen Fall einer Ansteckung nachvollziehen. Doch inzwischen hat sich der Erreger höchstwahrscheinlich verändert. Wissenschaftler können dies feststellen, wenn sie sich die zerstörten Hirne toter Tiere mit den typischen schwammartigen Löchern ansehen. Überträgt man Scrapie auf Labormäuse, weisen die Hirne der verendeten Nager ein ganz anderes Muster auf, als wenn man dieselben Labormäuse mit BSE-Fleisch infiziert. Identisch ist das Zerstörungsmuster dagegen, wenn man die Mäuse einmal mit BSE infiziert und eine Vergleichsgruppe mit dem Erreger aus Katzen, Schweinen oder Antilopen, die sich angesteckt haben.
Während scrapiekranke Schafe für den Menschen vermutlich ungefährlich sind, könnten über BSE rückinfizierte Schafe dagegen sehr wohl ansteckend sein. Doch die Brüsseler Eurokraten wissen sehr genau, daß ein zusätzliches Exportverbot von britischem Lammfleisch auf der Insel die endgültige Revolte gegen Europa auslösen würde. Die Erkenntnis, daß der BSE-Erreger auf Schafe zurückspringen kann, ist indessen ebenfalls schon in dem vertraulichen BGA-Papier vom 24. Juni 1993 nachzulesen: „Kürzlich wurde die Rückübertragung von BSE auf Schafe und die Übertragung auf Ziegen auf oralem Weg mit 0,5 Gramm infektiösen Gehirns eines erkrankten Rindes berichtet.“
Unterdessen wird über den weiteren Verlauf der Rinderseuche spekuliert. Seit dem Ausbruch der Epidemie 1985 sind in Großbritannen 165.000 Rinder erkrankt. 55 Prozent der Milchviehbetriebe, 15 Prozent der Rindermastbetriebe und 35 Prozent der Zuchtbetriebe haben bisher BSE-Erkrankungen gemeldet. Neben Großbritannien sind vor allem die Schweiz, aber auch Irland, Frankreich und Portugal mit eigenen BSE-Fällen betroffen. In Kanada, Dänemark, auf den Falklandinseln, in Italien, Oman und Deutschland wurden ebenfalls BSE-kranke Tiere identifiziert, die als britsche Exporttiere ausgewiesen sind.
Bis zum Jahresende 1996 waren 15 Menschen an der neuen Form der vermutlich durch BSE übertragenen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gestorben. 14 Fälle wurden in Großbritannien dokumentiert, einer in Frankreich. Durchschnittsalter der Betroffenen: 28 Jahre.
In der jüngsten Ausgabe von Nature hat der britische Epidemiologe Simon Cousens eine Hochrechnung des weiteren Epidemieverlaufs beim Menschen versucht. Seine Grobabschätzung ist kaum mehr als eine Zahlenspielerei, zumal bis heute weder der Erreger und sein Übertragungsweg noch die Inkubationszeit für den Menschen bekannt ist. Ausgehend von den gegenwärtig 15 Fällen als Beginn des Krankheitsberges, stellt Cousens verschiedene Rechenpfade auf: Bei einer kurzen Inkubationszeit von zehn Jahren bis zum Ausbruch müsse mit 75 bis 213 erkrankten Menschen gerechnet werden. Bricht die Krankheit im Mittel aber erst nach 25 Jahren aus, könnten bis zu 88.000 Menschen daran sterben.
Bisher hatten die britischen Wissenschaftler bei ihren BSE- Einschätzungen oft genug danebengelegen. Auf einem großen BSE-Symposion in Berlin hatten sie vor vier Jahren eine vertikale Übertragung vom Muttertier zum Kalb noch definitiv ausgeschlossen. Inzwischen ist diese Möglichkeit sauber belegt. Auch die horizontale Übertragung ist möglich. Isländische Wissenschaftler haben das Gras auf einer Wiese, auf der scrapiebefallene Schafe weideten, kleingehächselt und die darauf sitzenden Milben ausgewaschen. Impft man den Milbenbrei einer Maus ins Gehirn, erkrankt sie an der tödlichen Enzephalopathie. Manfred Kriener
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