■ Nebensachen aus Washington
: Präsidiale Kältefeiern

„Pack die Thermounterwäsche aus“, rät meine Freundin Clarice. Der Wetterbericht sagt Temperaturen um minus zehn Grad voraus. „Vielleicht sollten wir uns vorher mit Walfett einreiben.“

Ich habe bis heute nicht verstanden, warum die Amerikaner die Feierlichkeiten rund um die Vereidigung ihres Präsidenten im Januar unter freiem Himmel abhalten müssen. Gut, Amerikaner lieben kilometerlange Paraden. Aber die Vergangenheit sollte ihnen eigentlich eine Warnung sein: Bei der Vereidigung von Ulysses Grant im Jahre 1872 machte das kalte Buffet im Festzelt seinem Namen alle Ehre und fror ein. Und den Rekord für die kürzeste Amtszeit hält ein gewisser William Henry Harrison, der in arktischer Kälte ohne Mantel unbedingt auf seinem Schimmel zum Kapitol reiten mußte, um dort die längste Inaugurationsrede der Geschichte zu halten. Zwei Stunden dauerte der Monolog. Einen Monat später raffte ihn eine Lungenentzündung dahin.

„Warum müssen wir da überhaupt hin?“ frage ich. „Wer seinen Verstand beisammen hat, riskiert doch wegen Clinton keinen Blasenkatarrh.“ „Inaugurationsfeiern dienen der nationalen Aussöhnung nach einem bitteren Wahlkampf“, doziert Clarice und probiert ihren Daunenanorak an, in dem sie aussieht wie das Reifenmännchen von Michelin. „Damit du vor deiner Rückkehr nach Deutschland noch mal ein amerikanisches Kulturereignis erleben kannst. Außerdem will ich Whoopi Goldberg sehen.“

Whoopi moderiert nicht nur die Präsidenten-Gala, sondern sitzt auch in einem der sieben Festzelte vor dem Kapitol, in denen das Volk schon am Wochenende die große Aussöhnung betrieb. Da gibt's Musik und Junk food, und eine kleine bunte Hängebrücke. Jawohl, genau die, die ins 21. Jahrhundert führt. Dazu ein Zelt für Kinder, das „Millenium Schoolhouse“, mit Elmo aus der „Sesamstraße“. Beheizt. Das läßt hoffen, denn in so manchen öffentlichen Schulen Washingtons sitzt der Nachwuchs in ausgekühlten Klassenzimmern mit Lehrmitteln aus dem letzten Millenium, und muß sich inzwischen sogar abgekochtes Wasser von zu Hause mitbringen, weil aus dem öffentlichen Wasserhahn nichts Genießbares mehr fließt.

„Die Kälte macht nichts“, sagt Clarice fröhlich, denn als geplagte Washingtonerinnen können wir an diesem Festwochenende auf Einladung des Clintonschen Festkomitees im beheizten Zelt „Empowerment-Dialoge“ mit „großen amerikanischen Denkern und Persönlichkeiten“ führen.

„Seit wann ist Whoopi Goldberg eine große Denkerin“, wage ich einzuwerfen. „Seit sie für Bill Clinton Wahlkampf gemacht hat“, sagt Clarice, die ihrer Lieblingsschauspielerin viel verzeiht. „Und was ist ein ,Empowerment-Dialog‘?“ „Whoopi erzählt, wie man im Leben Erfolg hat, du hörst zu – und danach geht's dir besser.“

Der Ausflug endete natürlich in einem Debakel. Im „Technology Playground“-Zelt gab's zwar genügend Strom, um mit Al Gore auf dem Internet zu surfen oder virtuelles Basketball zu spielen. Aber mit der versprochenen Heizung klappte es beim letzten Vereidigungs- Volksfest in diesem Jahrtausend nicht. Weshalb wir nach einer Stunde ohne „Empowerment-Dialog“ ausgekühlt und ausgepowert in die warme U-Bahn flohen. Andrea Böhm